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Das Scheitern des Wissenschaftsjournalismus

Dass Konzerne, Politiker und Lobbyisten einen deutlichen Einfluss auf die tägliche Medienlandschaft nehmen, wird immer mehr Menschen bewusst. Der Fachjournalismus hingegen genießt einen weitaus besseren Ruf als die Tagespresse – zu groß ist das Vertrauen in die strengen Regeln der Wissenschaft. In jüngster Zeit zeigt sich jedoch immer wieder: Der Einfluss profitorientierter Interessengruppen auf den Wissenschaftsjournalismus steht dem Usus im populären Medienbetrieb in keinster Weise nach.


Qualitätsjournalismus gilt als Grundpfeiler gerechter und transparenter Staatssysteme. Ein entsprechend geschulter Journalist prüft seine Quellen kritisch und glaubt nichts unbesehen. Er ordnet seine Themen in den historischen Zusammenhang ein und ist in erster Linie dem öffentlichen Interesse verpflichtet. Das gilt in besonderem Maße für die wissenschaftliche Berichterstattung. Obwohl die öffentlichen Medien in letzter Zeit viel Kritik1 einstecken mussten, da ihnen verschiedene Defizite nachgewiesen werden konnten – unter anderem, dass sie Sachverhalte trivialisierten –, galt der Wissenschaftsjournalismus bislang als unbescholten. Beklagenswerterweise – denn kein Land der Welt hat eine gesunde Wissenschaftspresse.

Krankheitsresistenter Gen-Reis – und das soll Wissenschaftsjournalismus sein?

Von der New York Times wurde gentechnisch modifizierter Xa21-Reis stets als Sensation gehandhabt,2 unter anderem im 1995 veröffentlichten Artikel „Genetic Engineering Creates Rice Resistant to Destructive Blight“3 (Gentechnik bringt Mehltau-resistenten Reis hervor) der Journalistin Sandra Blakeslee. Darin berichtet sie davon, dass „zum ersten Mal ein gegen Krankheiten resistent machendes Gen in Reispflanzen eingesetzt“ worden sei. Blakeslee zitiert Gary Toeniessen, den stellvertretenden Direktor der agrarwissenschaftlichen Abteilung am Rockefeller Institute in New York mit den Worten, dass sich „eine neue Ära in der Pflanzengenetik und Resistenzzüchtung“ ankündige.

18 Jahre später ist klar: Die Versprechen haben sich nicht erfüllt. Weder Xa21 noch ein vergleichbares Gen wurden je zur Marktreife gebracht. Im Handel ist keine einzige gentechnisch modifizierte Reissorte erhältlich. Die Forschungsergebnisse waren außerdem keineswegs so neuartig, wie von der New York Times behauptet. Blakeslee hatte – wie erwähnt – berichtet, dass „zum ersten Mal ein gegen Krankheiten resistent machendes Gen in Reispflanzen eingefügt“ worden sei. Der Leser erfuhr aber nicht, dass Reispflanzen das Gen bereits enthalten, weil es aus Reis gewonnen wird (Song et al., 1995). Der Artikel beschrieb also weder einen konzeptionellen, noch einen kommerziellen Durchbruch. Mit Sicherheit aber sorgte er dafür, dass die Biotechnik in die Schlagzeilen geriet.

Der erfundene Protein-Maniok

„Maniok mit Proteinkick aus Bohnengenen“4 titelte im Jahr 2011 der New Scientist. In dem Bericht wurde gentechnisch modifizierter Maniok beschrieben, den Dr. Claude Fauquet mit seinem Team am Danforth Plant Science Center in St. Louis, Missouri, erschaffen hatte. Die überwiegend von Monsanto finanzierte Einrichtung habe mit Geldern der Stiftung von Bill und Melinda Gates eine Variante entwickelt, die dank dem synthetischen Protein Zeolin viermal mehr Eiweiß enthalten sollte als normaler Maniok. Das sei genug, um vom Hunger bedrohte Kinder erheblich besser versorgen zu können.5

Trotz der enthusiastischen Meldungen im New Scientist, auf SciDev.Net6 und über viele weitere Pressekanäle7 wird kein solcher Maniok je hungrige Menschen in Afrika ernähren. Eine spätere Untersuchung in den Gewächshäusern des Danforth Centers ergab, dass die „modifizierten“ Maniok-Pflanzen gar kein Zeolin enthielten. Sie waren wider der Behauptungen der Abhary-Veröffentlichung5 nicht transgen. Der Artikel wurde daher zurückgezogen (was später auch im New Scientist und auf SciDev.Net vermeldet wurde). Dem Präsidenten des Danforth Centers Dr. James Carrington zufolge hatte der federführende Autor (Abhary) das Land verlassen, ohne eine sehr wichtige Information preisgegeben zu haben. Carrington gestand ein:

„Wir konnten nicht herausfinden, auf welche Weise sie [die Pflanzen] hergestellt wurden.“

Wie jemand vom Blog Retraction Watch herausfand,8 war damit das Ende des proteinreichen Maniok besiegelt:

„Laut Dr. Carrington konnte das Fauquet-Labor die Studie nicht fachgerecht wiederholen, da die Zuwendungen der Gates-Stiftung, aus denen sich das Projekt finanziert hatte, einige Jahre zuvor ausgelaufen waren.“

Die verschwundene virenresistente Süßkartoffel

Im Jahr 2001 flog der US-Sonderbeauftragte Dr. Andrew Young nach Kenia, um eine genmanipulierte, virenresistente Süßkartoffel vorzustellen. Sie war von Dr. Florence Wambugu in Zusammenarbeit mit Monsanto entwickelt worden. Nach Angaben des Forbes Magazines seien die Ernteerträge dank einer neuartigen Virenresistenz „beeindruckend“9 – doppelt so hoch wie bei normalen Süßkartoffeln. Dr. Wambugu, damals Projektleiterin in Kenia, sagte der kanadischen Tageszeitung The Globe and Mail10 im Jahr 2003, dass die „modifizierte Kartoffel […] den Flächenertrag von vier auf zehn Tonnen pro Hektar steigern“ könne. Die kanadische National Post11 zitierte sie mit den Worten, dass die Gentechnik

„den afrikanischen Kontinent aus jahrzehntelanger wirtschaftlicher und sozialer Hoffnungslosigkeit herausholen“ könne.

Die Lobreden12 wurden gehalten, noch bevor irgendwelche wissenschaftlichen Beweise für die angeblichen Eigenschaften der Kartoffelsorte vorlagen.

Später, im Jahr 2004, wurde in kenianischen Zeitungen und auf der Website GMWatch13 berichtet, dass sich Monsantos Produkt in Tests als Fehlschlag erwiesen habe – es sei gar nicht virenresistent. In einem offiziellen Bericht hieß es sogar, dass die

„nicht-transgenen Pflanzen auf dem Vergleichsfeld viel höhere Erträge erbringen als die transgenen“.

Kenianische Wissenschaftler, die an dem Feldversuch teilgenommen hatten, sagten, dass„alle getesteten Zuchtlinien anfällig gegen Virenbefall“ gewesen seien und „das transgene Material der Virenlast auf dem Feld nicht wirklich standhalten konnte“.14

Trotz der negativen Berichte tauchte die Süßkartoffel weiter in der US-Presse auf.15 Die bekannte Forscherin Pamela Ronald16 schrieb in der New York Times vom 14. Mai 2010, dass

„virenresistente Süßkartoffeln und ertragreiche Perlhirse nur einige Beispiele für gentechnisch modifizierte Nahrungsmittel [seien], die das Leben der Armen auf der ganzen Welt verbessern“ könnten.

In Wahrheit hat sich nie eine virenresistente Kartoffel aus Kenia oder einem anderen Land durchgesetzt, und es wurden auch keine wissenschaftlichen Arbeiten dazu veröffentlicht. Die von kenianischen Zeitungen verbreitete Meldung, dass die Erträge keineswegs eine „erstaunliche“ Höhe erreichten, kam der Wahrheit vermutlich am nächsten.

Nicht gefruchtet: Gemüse mit Impfstoffen

Nährstoffangereichertes Obst und Gemüse sowie Krankheitsresistenzen bringt die konventionelle Pflanzenzucht17 zwar regelmäßig hervor, die Entwicklung pflanzlicher Impfstoffe aber wird als einzigartige Gelegenheit für die Gentechnik begriffen:

„[…] [K]onkrete Verbrauchervorteile könnten das Blatt zugunsten gentechnisch veränderter Lebensmittel wenden“,

meinte Novartis-Geschäftsführer Daniel Vasella und versuchte so, die Impfstoffe in gutem Licht dastehen zu lassen.18

Die Idee essbarer Impfstoffe (schon vielfach auf Salat, Tomaten, Bananen und Kartoffeln angewendet) wurde vom britischen Guardian19 im Jahr 2000 als „spannendstes Gebiet der Biotechnik“ bezeichnet. Die Technologie sei kurz davor,

„Millionen von Menschen in den Entwicklungsländern zu Hilfe zu kommen, die sich die westliche Medizin nicht leisten können“.

Ähnliche Berichte erschienen zwischen 2000 und 2005 bei PBS20 [öffentlich-rechtlicher Rundfunk in den USA, Anm. d. Übers.], in der New York Times21, zweimal im Wissenschaftsmagazin Scientific American22, 23 sowie in vielen weiteren einflussreichen Medien.

Die Berichte konzentrierten sich hauptsächlich auf die theoretischen Vorzüge solcher Impfstoffe, z. B. die preiswerte Herstellung und leichte Haltbarmachung. Dabei wurden schwerwiegende Nachteile verschwiegen.24 Einige betreffen Impfstoffe im Allgemeinen, andere hängen mit der Genmanipulation bei der Herstellung zusammen. Zum Beispiel sind die meisten herkömmlichen Impfstoffe nicht zum Verzehr geeignet. Sie werden injiziert, um nicht mit Speichel und Magensäure in Berührung zu kommen, durch die sie unbrauchbar würden. Weitere Probleme ergaben sich, als man die gentechnisch veränderten Pflanzen zum Wachsen bringen wollte.

Viele Nachteile essbarer Impfstoffe sind noch elementarer. So stellt sich die Frage, wie klug es ist, pflanzliche Medizinprodukte herzustellen, die mit bloßem Auge von normalen Lebensmitteln nicht zu unterscheiden sind. Die Selbstmedikation ist ebenso problematisch: Wie behalten medizinische Laien bei selbst hochgezogenen Pflanzen die Übersicht darüber, wie groß die Dosis war, die sie bereits eingenommen haben? Wie schützen wir die Nahrungsmittelversorgung gegen eine Kontamination durch Impfstoffgene? Wie gut würden solche Impfprogramme Dosisschwankungen tolerieren, dieu. a.durch natürliche Klima- und Wetteränderungen sehr wahrscheinlich aufträten?

Ein oft ins Spiel gebrachtes alternatives Szenario sieht vor, die Impfstoffpflanzen in regionalen Zentren aufzuziehen und von dort aus zu verteilen. Dabei treten wieder andere Probleme auf. Zum Beispiel müssten die Pflanzen – als verderbliche Lebensmittel – von normalen Nahrungsmitteln getrennt zum Verbraucher transportiert werden.

Wegen der ungeklärten Fragen ist noch kein derartiges Produkt über das Stadium von Pilotversuchen bei Mensch und Tier hinausgekommen. Ein wissenschaftlicher Bericht25 aus dem Jahr 2011 kam zu dem Schluss, dass transgene pflanzliche Impfstoffe „noch einen weiten Weg vor sich haben, bevor sie für Großversuche tauglich sind“ (Sekhon, 2011). Und selbst ein Großversuch schafft noch kein fertiges Produkt.

Goldener Reis, König der Gentechnik

Für Goldenen Reis wird kräftig die Werbetrommel gerührt26– ich muss also kaum Worte verlieren, um ihn vorzustellen. EineGoogle-Suche nach der Kombination „golden rice + vitamin A“ bringt ca. 131.000 Ergebnisse.27 Die Pflanze ist durch Hinzufügen eines Gens entstanden, das im Endosperm des Reiskorns eine geringe Menge Beta-Karotin produziert, die Vorstufe von Vitamin A. Goldener Reis ist inzwischen das Flaggschiff für den humanitären Einsatz der Gentechnik. Er hat es schon auf die Titelseite des Time-Magazins28 geschafft, und allein in derNew York Timeswurden ihm elf verschiedene Artikel gewidmet.

Wie die deutsche Nichtregierungsorganisation Testbiotech29 meldete, verwendet die PR-Kampagne für Goldenen Reis im Zusammenhang mit Gentechnik-Gegnern inzwischen den Begriff „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. So berichtet die indische Tageszeitung The Hindu30 über einen Indien-Besuch des Medizin-Nobelpreisträgers Sir Richard J. Roberts am 10. Dezember 2013:

„Er nannte den Protest europäischer ‚grüner‘ Parteien gegen genmanipulierte Pflanzen ein ‚Verbrechen gegen die Menschlichkeit‘. Dabei lenkte er die Aufmerksamkeit auf ein Projekt, das eine gentechnisch veränderte Reissorte entwickelt, um das Problem der Unterversorgung mit Vitamin A in Indien und anderen Ländern zu lösen.“

Die Realität könnte von dem durch plumpe PR-Kampagnen gezeichneten Bild kaum stärker abweichen. Vor dem Jahr 2005 bezogen sich alle Veröffentlichungen auf die Variante „Goldener Reis 1“ (GR1) (Ye et al., 2000). Journalistische Skepsis ließen die wenigsten davon erkennen. Lediglich Greenpeace31 und Dr. Vandana Shiva32 wiesen auf falsche Behauptungen hin: GR1 konnte die Vitamin-A-Unterversorgung nicht beheben, weil er nicht genügend Beta-Karotin enthielt. Das wurde damals noch bestritten, später allerdings mit der Entwicklung einer neuen Sorte (GR2) durch den Agrarkonzern Syngenta (Paine et al., 200533) klar eingestanden.

Die neue Variante wurde bislang in lediglich drei wissenschaftlichen Veröffentlichungen beschrieben (Paine et al., 2005; Tang et al., 200934; Tang et al., 201235). Über ihre Ertragsmöglichkeiten und ihre agrartechnischen Eigenschaften ist nichts bekannt, fast ebenso wenig über die Wirksamkeit und Sicherheit. „Goldener Reis 2“ wurde bisher in keinem Land für den Verzehr und die kommerzielle Nutzung freigegeben. Er befindet sich also noch im Entwicklungsstadium. Tatsächlich sind seine Transgene erst vor Kurzem in die Indica-Reissorten eingekreuzt worden, von denen sich die meisten Bewohner Asiens ernähren. Insgesamt zeigt sich eine beispiellose Diskrepanz zwischen der Zahl der Veröffentlichungen über Goldenen Reis und dem, was das Produkt bisher erreicht hat – nämlich nichts.

Zumindest ein Teil der Presse hat auf die soziokulturellen und technischen Probleme hingewiesen, die dem Erfolg von Goldenem Reis im Weg stehen. Um die Ernährungssituation von Menschen mit Vitamin-A-Mangel zu verbessern, müsste Goldener Reis großflächig angebaut werden, er würde also tausende lokale Sorten verdrängen. Ansonsten müssten seine Transgene in jede einzelne Sorte eingekreuzt werden. Er sollte für die ärmsten und isoliertesten Bevölkerungsgruppen verfügbar sein, denn sie benötigen ihn am dringendsten. Und: Die traditionell ausgeprägte Vorliebe für weißen Reis müsste überwunden werden – wie auch immer das geschehen soll.

Zudem wurde in den beiden an Menschen durchgeführten Studien (Tang et al., 2009; Tang et al., 2012) der GR2 sofort bei -70 Grad Celsius eingefroren, um den Verlust des sonst offenbar rasch abgebauten Beta-Karotins zu vermeiden.36 Die Teilnehmer der Studie verzehrten den Reis mit wenigstens zehn Prozent Butter oder Öl vermischt. So wurde sichergestellt, dass genügend Fett vorhanden war, um das Beta-Karotin aufnehmen zu können. Es muss wohl nicht erwähnt werden, dass solche Tiefkühl-Lagerkapazitäten und eine entsprechend fettreiche Ernährung bei den Menschen, die am ehesten unter Vitamin-A-Mangel leiden, nicht vorausgesetzt werden können. Für Goldenen Reis würden also erhebliche finanzielle Ressourcen benötigt; außerdem müsste die Politik beharrlich bleiben, um Pflanzenzucht und Vertrieb aufzubauen. Deshalb wird er wohl nie mehr sein als eine nette Zeitungsgeschichte.

Tatsächlich schloss sich auch Michael Pollan der Meinung von Greenpeace und Vandana Shiva an, dass Goldener Reis (damals noch GR1) eine „rein rhetorische Technologie“ sei.37 Er sollte recht behalten – ein bisschen seltsam mutet es dennoch an, dass es nur den drei Genannten gelang, die wichtigen Fakten dazu öffentlich zu machen. Die Wissenschaftspresse hat völlig versagt, wohl aus lauter Begeisterung über das „granatensichere Gewächshaus“ in der Schweiz.38 [Goldener Reis wurde in einem anschlagsicheren Gewächshaus entwickelt, Anm. d. Übers.]

Die wichtigste Erkenntnis dabei (außer, dass New-York-Times-Leser die wohl am schlechtesten informierten Menschen der Welt sind): Goldener Reis ist kein Einzelfall. Er ist nur ein Beispiel unter vielen zweifelhaften und unausgegorenen Forschungsprojekten, die in aller Welt zu positiven Mediengeschichten über die Gentechnik aufgeblasen werden.

Was dem Wissenschaftsjournalismus fehlt

Krankheitsresistenter Reis, Protein-Maniok,virenresistente Kartoffeln, Gemüse-Impfstoffe und Goldener Reis – die fünf Geschichten über „humanitäre“ Gentechnik finden sich buchstäblich tausendfach in den Medien aller Welt. Oft werden sie ohne Zweifel oder Vorbehalte abgedruckt. Um das Ausmaß des Problems überblicken zu können, müssen wir uns die intellektuellen und journalistischen Schwachstellen ansehen, durch die solche Meldungen ermöglicht werden.

Die Berichterstattung über wissenschaftliche Themen leidet unter demselben Grundübel, das auch die anderen Sparten des kommerziellen Journalismus durchzieht. Zusammengefasst hat es der britische Zeitungsmagnat Lord Northcliffe:

„Nachrichten sind das, was manche Leute lieber nicht gedruckt sehen wollen. Alles andere ist Reklame.“

In Berichten über Biotechnik zeigt sich das vor allem daran, dass die Zusammenhänge nicht ausreichend dargestellt werden. Wissenschaftsjournalisten könnten jederzeit grundlegende Fragen stellen, die ihre Leser interessieren: Ist die Technik ausgereift? Sind die Regulierungsbehörden kompetent? Warum stört sich niemand daran, dass die Industrie ihre Sicherheitsstudien selbst finanziert und durchführt? Wie ist die Sicht andersdenkender Wissenschaftler? Und es gäbe noch viele mehr. Aber nur wenige Journalisten weichen je von dem engen Schema ab, in dem bestimmte Produkte scheinbar umrissen werden müssen. Die Leser werden einfach in dem Glauben gelassen, dass es gute Antworten auf die gerade gestellten Fragen gibt. Michael Pollans hervorragender Artikel „Playing God in the Garden“39 ist in der Hinsicht die rühmliche Ausnahme.

Das nächste Problem: Nachrichten über angebliche Forschungserfolge sind selten mehr als klassische PR-Meldungen, die ein Produkt in den Himmel loben. Die Kunst besteht hauptsächlich darin, Fakten wegzulassen. Das ist allerdings im wissenschaftlichen Bereich nicht so harmlos, wie bei Meldungen über beispielsweise ein neues Mobiltelefon. Die Menge an wichtigen, aber unterschlagenen Informationen ist bei Berichten über gentechnische Errungenschaften erheblich. Ein Beispiel, das nicht technischer Natur ist: Der Leser soll glauben, dass die Agrarindustrie ein besonders menschenfreundliches Projekt durchführt. Ist es dann richtig, die Vorgeschichte des Industriezweigs wegzulassen? Zu verschweigen40, dass dieselben Firmen Bauern eingeschüchtert41und gefährliche Produkte42 hergestellt, hinterher aber alles abgestritten und sich ihrer Verantwortung entzogen haben?43

Die Autoren solcher Artikel argumentieren einerseits vermutlich zurecht, dass aufgrund des beschränkten Platzes einiges Wissen vorausgesetzt werden muss. Die Leser können andererseits Auslassungen aber nur schwer erkennen, wenn die widersprüchlichen Fakten oder Ansichten nie publiziert wurden – weder in der eigenen Zeitung, noch in anderen kommerziellen Medien. Beispielsweise veröffentlichte der Weltagrarrat einen von mehreren hundert Wissenschaftlern verfassten Bericht,44 laut dem verstärkte Industrialisierung und der Einsatz genmanipulierter Pflanzen nicht geeignet seien, um gegen die Verarmung in der Landwirtschaft vorzugehen. Die New York Times als „führendes“ Blatt verschwieg den Bericht komplett – erst Jahre später wurde er von Gastautoren gelegentlich erwähnt.

Ein weiteres Beispiel: In Artikeln über wissenschaftliche „Errungenschaften“ wird der technische Erfolg viel zu häufig als selbstverständlich hingestellt – als ob Biotechnologen auf Wunsch jede beliebige Eigenschaft in Pflanzen einsetzen könnten. Verschwiegen wird dabei,45 dass heute alle kommerziell genutzten genmanipulierten Pflanzen auf sehr wenigen, einfach gestrickten Modifikationen konventioneller Züchtungen beruhen. Insekten- und Herbizidresistenzen werden durch einzelne Gene erreicht. Sie erfordern weder ein umfassendes Verständnis der biochemischen Vorgänge, noch ein Eingreifen in sie. Dagegen sind die neuen „humanitären“ Eigenschaften (oft in vielerlei Hinsicht) gewagte Abstecher in viel schlechter verstandene Gebiete der Biologie.

So erklärt sich die Diskrepanz zwischen Pressemeldungen und breiter Zustimmung auf der einen Seite, und der Realität auf der anderen: Zwei der fünf hier vorgestellten wissenschaftlichen „Durchbrüche“ sind gescheitert (oder haben nie existiert), und bei den restlichen kam man über das Versuchsstadium nicht hinaus. Das zeigt, wie unseriös die einseitige und für den Leser wertlose Berichterstattung über die Gentechnik ist. Es offenbart uns auch (nützlicherweise), wie umfassend der Journalismus durch die Interessen der Agrarkonzerne beeinflusst wird.

Warum werden potenzielle zukünftige Erfolge gefeiert, die tatsächlichen Misserfolge aber ignoriert? Die journalistischen Motive lässt Gregg Easterbrook in einem Gastkommentar46 über nährstoffangereicherte genmanipulierte Pflanzen in der New York Times vom 19. November 1999 durchblicken:

„Wichtig ist aber, im Hinterkopf zu behalten, dass die transgenen Nutzpflanzen, über die heute berichtet wird, nur die ersten Ausprägungen einer grundlegend neuen Idee sind. Es kommen noch viel bessere Versionen.“

Alles, was zählt, sind demnach die theoretischen Möglichkeiten. Alle gescheiterten Versuche sind irrelevant. Und genauso sieht auch die Industrie die Lage. Das ist vergleichbar mit Berichten über die Kernenergie, in denen der humanitäre Nutzen des Atomstroms betont wird, ohne die Unfälle, Mehrkosten und Vertuschungen zu erwähnen.47 Leider deuten diese Geschichten48 (und andere, ähnlich bedeutende)49 darauf hin, dass die unkritische, industriefreundliche Arbeitsweise heute den gesamten Wissenschaftsjournalismus durchzieht.50

Aber: Journalisten können es besser! Michael Pollan hat im schon erwähnten Artikel „Playing God in the Garden“ die Lücken in den Gentechnik-Vorschriften fachkundig analysiert und später auch den Goldenen Reis kritisiert, wobei er u. a. das 50-Millionen-US-Dollar-Werbebudget51 für die Pflanze ansprach. Die WebsiteGMWatch52wiederum weist oft auf erfolgreiche konventionelle Zuchterfolge hin, die sich mit denen der Gentechnik messen können, uns aber von der Presse vorenthalten werden.

Die Kunst der totalen Informationskontrolle

Geschönte Meldungen über Biotechnik sind äußerst nützlich für die Industrie. Berichte über angebliche wissenschaftliche Erfolge gehen Hand in Hand mit strengen Leitartikeln53 renommierter Magazine, in denen die „irrationalen Einwände“ gegen die Gentechnik verdammt werden. So kommunizierte „Durchbrüche“ sind eben auch ein gutes Mittel, um sich ausländische Absatzmärkte zu erschließen.

Der wichtigste Nutzen ist weniger offensichtlich: Die Agrarindustrie sichert sich finanzielle Erfolge, indem sie Abhängigkeiten54 schafft und Monopole55 zur Kontrolle der Landwirtschaft erzeugt. Die Produkte dieser Industrie sind für die Landwirtschaft ausnahmslos überflüssig56– und doch müssen immer wieder Neuheiten her. Bei deren Entwicklung allerdings tut sich die Industrie oft schwer.57 Meldungen über „Durchbrüche“ helfen dabei, ein Image aufzubauen, das die Industrie als ethisch,innovativ und unverzichtbar für eine nachhaltige Zukunft zeigt.

Solche Berichte entstehen also nicht nur, weil Journalisten zu bequem sind, ein Thema gedanklich zu durchdringen (auch wenn das hilfreich ist). Für die Agrarindustrie und andere mächtige Unternehmen steht beim Wissenschaftsjournalismus alles auf dem Spiel.58 Ihr Ruf ist ständig gefährdet, denn bei wissenschaftlichen Themen wird Heuchelei schnell offensichtlich: Die Mitschuld am Klimawandel wird dementiert, gleichzeitig aber Firmenverantwortung großgeschrieben. Auf den Rechtsstaat wird bestanden, während man sich in politische Verfahren einkauft oder Bestechungsgeld an Regierungsbeamte zahlt.59, 60 Das Umwelt- und das Arbeitsschutzrecht sollen untergraben werden, während die Mitglieder der Firmenleitung sich per Eigenwerbung als saubere, grüne, wohltätige Weltbürger inszenieren usw.

Was würde passieren, wenn die New York Times oder der Nachrichtensender NBC– unter entsprechend drastischen Schlagzeilen – detailliert analysierten, wie Gentechnik-Firmen immer wieder die wissenschaftliche Literatur manipulieren?61 Was wäre, wenn Fox News die (wahre) Geschichte62 publizierte, wie der US-Gesundheitsbehörde FDA von den eigenen Wissenschaftlern geraten wurde, Gentechnik-Firmen genau zu überprüfen – und die Behörde die politisch motivierte (und wohl illegale)63 Entscheidung traf, dem Rat nicht zu folgen? Was, wenn die Geschichten von anderen Radio- und Fernsehstationen und den Printmedien aufgegriffen würden? Die Verbraucher würden einen Aufruhr veranstalten. Für Politiker verfasste offizielle Dossiers würden ihre Glaubwürdigkeit einbüßen. Damit stünde die gesamte politische Unterstützung auf dem Spiel. Die Agrar- und die Biotechnik-Industrie würde wahrscheinlich zusammenbrechen. Demzufolge müssen sie sicherstellen, dass so ein Szenario niemals eintritt.

Nur aus diesem Grund unterstützen in Großbritannien Firmen wie BASF, Coca-Cola, Merck, L’Oréal, Monsanto, Syngenta, Smith & Nephew, der britische Atomwirtschaftsverband (und andere) seit Kurzem die Mediensteuerung64 durch ein „Science Media Centre“65 [ein Dienstleister, der Journalisten mit wissenschaftlichen Hintergrundinformationen versorgt, Anm. d. Übers.]. Diese Methode zur Informationskontrolle hat sich als so effektiv erwiesen (oder vielleicht die Bedrohung durch das Internet als so ernst), dass sogar schon internationale Ableger66entstanden sind.

Die Vermarktung angeblicher Durchbrüche spielt eine große Rolle bei der Steuerung der Wissenschaftsmedien. Und doch sind solche Eingriffe nur Teil einer kaum überblickbaren Beeinflussungsmaschinerie, mit der die Industrie ihre Außenwahrnehmung (und die ihrer Produkte) minutiös inszeniert.67 Anders als vor 30 Jahren sind heute einzelne Wirtschaftsbereiche, z. B. die Biotechnik, sowohl ausreichend profitabel als auch monopolistisch und global aufgestellt. Deswegen können sie den Informationsfluss zum Vorteil ihrer größeren Mitglieder koordinieren – über drei verschiedene, miteinander zusammenhängende Denkbereiche hinweg: den öffentlichen Bereich (Fernsehen, Rundfunk, Printmedien), den wissenschaftlichen Bereich (Publikationen in Fachzeitschriften) und den politischen Bereich (Regierungsberichte und Debatten).

Ein typisches Beispiel68 dafür ist der „Bio4EU“-Bericht.69 Er wurde im Jahr 2007 von dem der Industrie eher skeptisch gegenüberstehenden Europäischen Parlament in Auftrag gegeben. In dem Papier sollten Behauptungen über die neue „wissensbasierte Biotechnik-Wirtschaft“ untersucht werden. Weil sich die Faktenlage als außerordentlich dünn herausstellte, mobilisierte die Industrie ihre Ressourcen. Sie erreichte, dass die schwache Datengrundlage im Berichtstext aufgebläht und in der Kurzfassung aus tausenden Biotechnik-Arbeitsplätzen Millionen wurden. In der Zusammenfassung konnten die Parlamentarier sogar lesen70, dass die neue Biotechnik „die Zwangsverbindung von Wirtschaftswachstum und Umweltbelastung beenden“ würde. Allerdings wird so ein Fazit weder durch den Text noch durch die Datengrundlage gerechtfertigt. Und doch verhinderte der konzentrierte Druck auf das unabhängige Institut71, das den Bericht verfasste, eine mögliche Katastrophe für die Branche. Ganz offensichtlich durfte der Medienjubel über wissenschaftliche Erfolge nicht durch Nachforschungen von Politikern konterkariert werden.

Den EU-Parlamentariern ist wahrscheinlich nie bewusst geworden, dass ihr Bericht ein gigantischer Betrug war. Der Fall zeigt aber, wie weit die PR-Maschinerie der Industrie inzwischen (um einen militärischen Begriff zu gebrauchen) eine Überlegenheitauf allen Ebenen in sämtlichen Informationsbereichen erreicht hat. Auf die Weise konnte sich das Werbe-Image von der tüchtigen Industrie so weit von der Realität entfernen, dass sich eine Kluft72 aufgetan hat, die letztlich die gesamte Biotechnik verschlingen könnte. Hierin unterscheidet sie sich aber nicht von anderen Industriezweigen – von den Lebensmittelherstellern über den Bergbau bis zur Rüstung. Nur wenige Menschen würden solche Geschäfte in ihrer jetzigen Form unterstützen, wenn sie sie komplett durchschauen würden.

Daraus folgt: Die grundlegende Ursache, warum Unternehmen auf die beschriebene Weise agieren können, ist, dass die Presse dabei versagt, ihre elementaren Aufgaben zu erledigen. Im Jahr 1822 sagte James Madison, der vierte Präsident der Vereinigten Staaten (1809–1817 im Amt):

„Eine vom Volke ausgehende Regierung ohne Informationen für die Allgemeinheit, oder die Mittel, sie zu beschaffen, ist nur der Prolog zu einerFarceoder einer Tragödie, oder vielleicht zu beidem.“

Das Zitat war sicher wörtlich gemeint. Heute, 200 Jahre später, haben wir den Status erreicht, den James Madison vorhersah. Es ist Zeit, ihn beim Wort zu nehmen und die folgende Frage zu stellen: Besteht die Lösung unserer wichtigsten Probleme – Klimawandel, soziale Ungerechtigkeit und fehlende ökologische Nachhaltigkeit – vielleicht einfach darin, eine leistungsfähige Medienlandschaft aufzubauen? Oder – andersherum gefragt – können wir es ohne sie schaffen?

Anmerkung der Redaktion

Der vorliegende Beitrag ist eine bearbeitete Version von Jonathan Lathams Artikel „Fakethrough! GMOs and the Capitulation of Science Journalism“. Den kompletten Artikel können Sie in der englischen Originalfassung auf der Website Independent Science News unter http://tinyurl.com/lkf7pf5 lesen. Die Endnoten zu unserer Fassung finden Sie aus Platzgründen online unter http://bit.ly/1r1FUW2.

Quellen