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Die Revolution ist fällig – aber sie ist verboten

faelligWer unsere Gesellschaft mit wachem Geist beobachtet, entdeckt viele negative Entwicklungen, die sich in den letzten Jahrzehnten verstärkt haben. Albrecht Müller geht in seinem Buch insbesondere auf den sozialen Rückschritt ein, der sich in wachsender Armut und ungerechter Vermögensverteilung manifestiert. So hält das reichste Prozent der Bevölkerung in Deutschland rund 25 Prozent des Gesamtvermögens.


Ebenso kritisiert er die Macht der großen Finanzkonzerne und ihren Einfluss auf die Politik, dokumentiert das Versagen der etablierten Parteien und der Europäischen Union und wagt sich sogar, die Abhängigkeit der BRD von den USA infrage zu stellen sowie auf die wachsenden Kriegsgefahren hinzuweisen. Auch die fatale Rolle der Massenmedien zur Lenkung der Bevölkerung wird analysiert.

Angesichts der sozialen, politischen und ökologischen Verwerfungen ist eine Revolution in Deutschland längst überfällig, meint Müller. Doch aufgrund der staatlichen Machtfülle und der Kapitalreserven der Superreichen sieht er keine Anhaltspunkte, dass sie erfolgreich verlaufen würde. Nach dem Grundgesetz ist zudem eine vollständige Umwälzung verboten und „in der Praxis werden gegebenenfalls eher die Köpfe der Revolutionäre als die der Reaktionäre rollen“. Daher ruft Albrecht Müller seine Leserschaft dazu auf, sich auf „einen langen Weg zu einer Neuen Gesellschaft“ jenseits der neoliberalen Ideologie aufzumachen und eine „sozialdemokratische Reformpolitik“ zu verwirklichen.

Der Autor weiß, wovon er spricht. Als langjähriger SPD-Bundestagsabgeordneter und Wahlkampfleiter von Willy Brandt kennt er das politische Geschäft in der Bundesrepublik. Heute publiziert der pensionierte Volkswirt auf Nachdenkseiten.de tagesaktuelle kritische Beiträge. Gerade die SPD hat in den letzten Jahrzehnten Hunderttausende Mitglieder verloren und führt nach der Sarrazin-Debatte nun mit dem ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse einen scharfen Disput zu Identitätsfragen und sozialer Ausrichtung. In der Coronakrise befürwortet Müller eine offene Diskussion zwischen Kritikern und Befürwortern der Regierungsmaßnahmen ohne Beleidigungen und diffamierende Unterstellungen. Wenn schon eine Revolution nicht möglich erscheint, so kann doch ein konstruktiver Gedankenaustausch die Gesellschaft in eine positive Richtung verändern.

Es bleibt abzuwarten, ob sich Müllers Hoffnung bewahrheiten wird, dass sich gute, kluge Persönlichkeiten in der Zukunft durchsetzen werden. Denn aktuell bildet sich keine größere Protestbewegung zur neuen „sozialen Frage“ und damit zum gesellschaftlichen Kernproblem. Auf YouTube finden sich übrigens einige ausführliche Interviews mit Albrecht Müller, in denen er seine jüngste Veröffentlichung vorstellt. Wer sich schon näher mit den aufgeworfenen Fragestellungen beschäftigt hat, wird vielleicht nur noch hier und da etwas Neues finden. Wer allerdings Mitmenschen einen Denkanstoß liefern möchte, die noch im Mainstreamdenken verhaftet sind, hätte hier ein intelligentes Ostergeschenk.

Albrecht Müller
Westend Verlag

192 Seiten
ISBN: 978-3-864893-07-0
€ 16,-