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Don’t believe the Hype! Cannabis und Kommerz

cannabisWas ist eigentlich medizinisches Cannabis? Den meisten Menschen sind die Unterschiede in der Zusammensetzung verschiedener Cannabisarzneien kaum bewusst; im Dschungel der Inhaltsstoffe und Studien kann man schnell verloren gehen.

Wer etwa im Netz liest, dass Cannabis Krebs besiegen kann, und sich in der Folge ein CBD-Öl besorgt, begibt sich auf dünnes Eis. Cannabismittel, die auf CBD und andere Cannabinoide setzen, sind zwar gesundheitsförderlich – doch um degenerative Krankheiten wie Krebs effektiv anzugehen, scheint das besser erforschte THC wichtiger zu sein, als es die CBD-Industrie zugeben möchte. Ein besonnener Blick auf das Canna­business.


Neue Erkenntnisse, neue Missverständnisse

Wo die Gesundheitsforschung rattert, da rattert auch der Markt: Die Anzahl der legalen, verschreibungspflichtigen und illegalen Cannabismedikamente wächst stetig an. Aber ist jede Cannabismedizin gleich gut? Kennen Sie die Unterschiede zwischen THC-Öl, CBD-Öl,Cannabis flos, Vollspektrumöl / Vollextrakt, Hanfsaatenöl, Sativex, Dronabinol, Cannabissaft, Cannabispaste, Rick-Simpson-Öl, Haschisch und Cannabissalbe? Wissen Sie, wann was für wen Sinn ergibt, in welcher Dosierung, wie lange und mit welchem Erfolg?

Eben. Für Patienten ohne Vorwissen hat es den Anschein, als würde das Etikett „Cannabis“ bereits ausreichen, um einem jeden medizinischen Wunsch zu erfüllen. Das führt dazu, dass beispielsweise schwer Krebskranke versuchen, ihre Leiden mit CBD-Öl zu kurieren – ein Unterfangen, das nur wenig Erfolg verspricht, wie Sie später nachvollziehen werden.

Ich möchte nicht der nächste Autor sein, der Ihnen die neuesten Durchbrüche und Innovationen aus der Cannabisfilterblase aufs Butterbrot schmiert. Mein Anliegen ist vielmehr, einen Schritt zurückzutreten, um den gegenwärtigen Hype in einen breiteren Kontext zu stellen, die Begrifflichkeiten zu sortieren und zu fragen: Was bleibt, wenn die Euphorie abebbt? Denn Cannabis sollte nicht Bilder bunter Verpackungen und die Börsenkurse des Cannabusiness in uns wachrufen – sondern jene vertraute Verbundenheit, die den Hanf einst erst zur Volksmedizin hat werden lassen.

Die grüne Dreifaltigkeit

Pflanzen der Gattung Cannabis1 sind seit ca. 10.000 Jahren ein enger Begleiter des Menschen. Landläufig spricht man von der Gattung der Hanfgewächse, die sich in drei Arten unterteilt: den gewöhnlichen oder echten Hanf (Cannabis sativa), den indischen Hanf (Cannabis indica) und den Ruderalhanf (Cannabis ruderalis).2

Hanf könnte zu den ersten Pflanzen zählen, die der Mensch kultiviert hat. Auch wenn ihr Siegeszug wahrscheinlich in Zentralasien startete, ist die Pflanze als Kulturfolger des Menschen über die Jahrtausende auf fast jedem Kontinent heimisch geworden. Sie war für unsere Vorfahren in dreierlei Hinsicht wichtig:

  1. als Bau- und Werkstoff, etwa für Papier, Hauswände (mit Lehm gemischt) und Kleidung;
  2. als Medizin, Rauschmittel, Aphrodisiakum und Nahrungsmittel; und
  3. als Ritualpflanze und Zauberutensil.3

So neu und disruptiv der aktuelle Cannabishype also wirken mag – er ist eher Symptom des Wiederentdeckens einer innigen Beziehung zwischen Mensch und Pflanze, die erst seit wenigen Jahrhunderten durch Verbote stigmatisiert wird.

Zeitsprünge: Eine kurze Geschichte von Wohl und Wahn

„Hanf ist ein alter Menschenfreund.“ -Wolf Dieter Storl7

Ein Zugang zu dieser alten Verbindung liegt direkt vor Ihrer Haustür. Denn auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist Cannabis schon lange Teil unserer Kultur. Der Ethnopharmakologe Dr. Christian Rätsch erklärt:

„Alles deutet darauf hin, dass der Hanf seit der Steinzeit in Mitteleuropa bekannt ist und vielfach genutzt wurde. Der älteste archäologische Fund von Hanfblüten bzw. -samen stammt nicht etwa aus Asien, sondern aus den Schichten der Bandkeramikkultur (ca. 7.500 Jahre alt) von Eisenberg in Thüringen. Im Neolithikum war Hanf schon weitverbreitet. […] In germanisch-keltischen Gräbern, die etwa 2.500 Jahre alt sind, wurden Hanfblüten als Grabbeigabe gefunden.“8

Auch die medizinische Wirkung des Hanfs war unseren Vorfahren nicht fremd und wurde von frühen Größen der europäischen Medizin wie Hildegard von Bingen oder Tabernaemontanus weitergetragen.

Die Dosis und das Gift – ein Kraut mit zwei Gesichtern

Aber ist Cannabis mit seiner berauschenden Wirkung nicht gefährlich? Immerhin ist und war es in vielen Teilen der Welt doch immer wieder verboten und verpönt? Teilweise trifft das zu: Nicht nur medizinische Empfehlungen, auch Warnungen vor der Pflanze gab es bereits vor unserer Zeit. So erklärte Hildegard von Bingen in ihrer „Physica“, der Hanf sei gut für den, der im Kopf gesund sei, wirke aber schädlich für den, der im Kopf krank sei.9 Und in Emma M. Zimmerers „Kräutersegen“ ist zu lesen:

„Wenn wir uns beim Anblick des Hanfs also auch eines gewissen Misstrauens nicht erwehren können […], so dürfen wir uns jedoch auch nicht verhehlen, dass nur ein übermäßiger Genuss des Haschisch [das psychoaktive Harz weiblicher Hanfblüten; Anm. d. Autors], erzeugt durch Leidenschaft und Laster, schuld an den Uebeln ist, […] während beim richtigen Gebrauch das schlimme Prinzip auch hier wie überhaupt überall zum Guten werden lässt. Wägen wir demnach den Nutzen des Hanfes gegen seinen Schaden ab, so übersteigt jener den letztern weit.“10

Diese Haltung verträgt sich weitgehend mit der heutigen wissenschaftlichen Sicht auf Cannabis: Bei maßvollem Gebrauch muss selbst der Cannabiskonsum zu hedonistischen Zwecken nicht zwangsläufig negative Folgen haben – es hängt von der Konsumform, der geistigen und physischen Gesundheit des Konsumenten und der Häufigkeit des Konsums ab.

Das internationale Rauschverbot

Hanf überdauerte als Medizin, Rohstoff und Rauschmittel im öffentlichen Bewusstsein und war für viele Menschen Europas bis Anfang des 20. Jahrhunderts ein Bestandteil des täglichen Lebens. Erst auf der zweiten Internationalen Opiumkonferenz in Genf wurde 1925 besiegelt, den indischen Hanf bzw. die „getrocknete Spitze der blühenden oder fruchttragenden weiblichen Stauden der Cannabis“ zu regulieren. Die unterzeichnenden Staaten verpflichteten sich, „wirksame Gesetze oder Vorschriften zu erlassen, um Herstellung, Einfuhr, Verkauf, Vertrieb, Ausfuhr und Verwendung der Stoffe […] ausschließlich auf medizinische und wissenschaftliche Zwecke zu beschränken“.11 Daraus entstand später das in Deutschland noch heute geltende Betäubungsmittelgesetz. Mit den UN-Abkommen zu narkotischen und psychotropen Substanzen wurde die Regulierung 1961 bzw. 1971 weiter verschärft, was den Einsatz als Medizin innerhalb der UN zunächst unmöglich machte.12 Der Nutzhanf als Quelle für Papier,13 Stoffe und Seile verlor mit dem Siegeszug der Kunststoffe und der billigen Verfügbarkeit von Holzpapier und Baumwolle zunehmend an Bedeutung. Es scheint, als habe erst das moderne Leben den Hanf aus unseren Köpfen und Häusern verdrängt – um ihn später in neuem Gewand zurückzurufen.

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