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Lust auf Gott: Einführung in die christliche Mystik

lustgott„Lust auf Gott?“, fragt Werner Thiede im Titel seiner Einführung in die christliche Mystik. Thiede ist Professor für systematische Theologie, Pfarrer i. R. und Publizist, der sich neben theologischen Themen ausgiebig den Herausforderungen der Digitalisierung widmet. Der Agnostiker in mir meinte erst mal so: „Jein“, während der christlich sozialisierte Teil meiner Seele meinte: „Komm, gönn dir.“Was ich anhand des Titels erwartete: eine leichte, verständliche Lektüre, die mir neue Perspektiven zum christlichen Glauben aufzeigt und Grundlagenwissen zum Thema Mystik vermittelt. Ein Buch, das auch für den theologischen Laien leicht verständlich formuliert ist und Schritt für Schritt an die Materie heranführt.


Was ich bekam: eine komplexe, theoretische Abhandlung, die sich nicht lange mit Definitionen aufhält, sondern gleich in medias res geht. Für Thiedes „Lust auf Gott“ ist es also durchaus von Vorteil, sich im Vorfeld bereits mit theologischen und spirituellen Thematiken auseinandergesetzt zu haben.

Das Buch gliedert sich in zwei Hauptteile: den ersten, in dem die christliche Mystik, das Erfahren der Wirklichkeit Gottes, die Suche nach „Intimität mit Gott oder dem Göttlichen“ in verschiedene Kontexte und Zusammenhänge einbettet, sowie einen zweiten Teil, in dem dieser theoretische Hintergrund anhand 34 ausgewählter Beispiele veranschaulicht wird.

„Mystik verspricht Halt im Unendlichen, Erkenntnis der Unsterblichkeit, Berührung mit dem Ewigen. Sie will mehr als normalbürgerliche Kirchlichkeit, strebt nach spirituellem Erleben und tiefster Wahrheit.“

Der Autor selbst schlägt in seinem Vorwort vor, den theoretischen Teil vorerst zu überspringen und mit den praktischen Beispielen zu beginnen. Ein ungewöhnlicher Ratschlag, den ich zunächst ignorierte – leider, denn Thiedes Verknüpfung von Mystik mit Aspekten wie Lust, Spiritualität, kosmischem Bewusstsein oder Synkretismus sind für den nicht theologisch versierten Normalbürger durchaus harter Tobak.

Die christliche Mystik, so Thiede, unterscheidet sich von der Mystik anderer Religionen und Glaubensrichtungen insofern, als sie zwar von der Jenseitigkeit und Transzendenz Gottes ausgeht, aber stets die Menschwerdung durch Jesus Christus vor Augen hat und dadurch weniger weltfremd wirkt. Als Teil einer Einführung, und sei es auch speziell in die christliche Mystik, hätte ich mir einige Vergleichspunkte gewünscht, jedoch beschränkt Thiede sich auf die christliche Perspektive.

Die Beispiele konnten mich dann doch ein wenig abholen. Von biblischen Persönlichkeiten wie Jesus und Paulus über Heilige wie Hildegard von Bingen und Franz von Assisi bis hin zu Zeitgenossen wie Dag Hammerskjöld oder der Dichterin Dorothee Sölle beschreibt Thiede mystische Erfahrungen unterschiedlicher Art, durch die dann auch seine theoretischen Ausführungen für mystisch Unbedarfte greifbarer werden.

Für den Wunsch nach mystischen Erfahrungen fehlt es mir, einmal abgesehen vom christlichen Glauben, vielleicht an Spiritualität. Andererseits haben mir einige der praktischen Beispiele gezeigt, dass es so viele Formen des mystischen Erlebens wie Menschen auf der Erde gibt – theistisch wie atheistisch. Insofern: Lust auf Gott – eher nicht. Neugier auf Mystik – durchaus.

Werner Thiede
LIT Verlag

232 Seiten
ISBN: 978-3-643-14263-4
€ 19,90