Das Scheitern des Wissenschaftsjournalismus

Dass Konzerne, Politiker und Lobbyisten einen deutlichen Einfluss auf die tägliche Medienlandschaft nehmen, wird immer mehr Menschen bewusst. Der Fachjournalismus hingegen genießt einen weitaus besseren Ruf als die Tagespresse – zu groß ist das Vertrauen in die strengen Regeln der Wissenschaft. In jüngster Zeit zeigt sich jedoch immer wieder: Der Einfluss profitorientierter Interessengruppen auf den Wissenschaftsjournalismus steht dem Usus im populären Medienbetrieb in keinster Weise nach.

Zudem wurde in den beiden an Menschen durchgeführten Studien (Tang et al., 2009; Tang et al., 2012) der GR2 sofort bei -70 Grad Celsius eingefroren, um den Verlust des sonst offenbar rasch abgebauten Beta-Karotins zu vermeiden.36 Die Teilnehmer der Studie verzehrten den Reis mit wenigstens zehn Prozent Butter oder Öl vermischt. So wurde sichergestellt, dass genügend Fett vorhanden war, um das Beta-Karotin aufnehmen zu können. Es muss wohl nicht erwähnt werden, dass solche Tiefkühl-Lagerkapazitäten und eine entsprechend fettreiche Ernährung bei den Menschen, die am ehesten unter Vitamin-A-Mangel leiden, nicht vorausgesetzt werden können. Für Goldenen Reis würden also erhebliche finanzielle Ressourcen benötigt; außerdem müsste die Politik beharrlich bleiben, um Pflanzenzucht und Vertrieb aufzubauen. Deshalb wird er wohl nie mehr sein als eine nette Zeitungsgeschichte.

Tatsächlich schloss sich auch Michael Pollan der Meinung von Greenpeace und Vandana Shiva an, dass Goldener Reis (damals noch GR1) eine „rein rhetorische Technologie“ sei.37 Er sollte recht behalten – ein bisschen seltsam mutet es dennoch an, dass es nur den drei Genannten gelang, die wichtigen Fakten dazu öffentlich zu machen. Die Wissenschaftspresse hat völlig versagt, wohl aus lauter Begeisterung über das „granatensichere Gewächshaus“ in der Schweiz.38 [Goldener Reis wurde in einem anschlagsicheren Gewächshaus entwickelt, Anm. d. Übers.]

Die wichtigste Erkenntnis dabei (außer, dass New-York-Times-Leser die wohl am schlechtesten informierten Menschen der Welt sind): Goldener Reis ist kein Einzelfall. Er ist nur ein Beispiel unter vielen zweifelhaften und unausgegorenen Forschungsprojekten, die in aller Welt zu positiven Mediengeschichten über die Gentechnik aufgeblasen werden.

Was dem Wissenschaftsjournalismus fehlt

Krankheitsresistenter Reis, Protein-Maniok,virenresistente Kartoffeln, Gemüse-Impfstoffe und Goldener Reis – die fünf Geschichten über „humanitäre“ Gentechnik finden sich buchstäblich tausendfach in den Medien aller Welt. Oft werden sie ohne Zweifel oder Vorbehalte abgedruckt. Um das Ausmaß des Problems überblicken zu können, müssen wir uns die intellektuellen und journalistischen Schwachstellen ansehen, durch die solche Meldungen ermöglicht werden.

Die Berichterstattung über wissenschaftliche Themen leidet unter demselben Grundübel, das auch die anderen Sparten des kommerziellen Journalismus durchzieht. Zusammengefasst hat es der britische Zeitungsmagnat Lord Northcliffe:

„Nachrichten sind das, was manche Leute lieber nicht gedruckt sehen wollen. Alles andere ist Reklame.“

In Berichten über Biotechnik zeigt sich das vor allem daran, dass die Zusammenhänge nicht ausreichend dargestellt werden. Wissenschaftsjournalisten könnten jederzeit grundlegende Fragen stellen, die ihre Leser interessieren: Ist die Technik ausgereift? Sind die Regulierungsbehörden kompetent? Warum stört sich niemand daran, dass die Industrie ihre Sicherheitsstudien selbst finanziert und durchführt? Wie ist die Sicht andersdenkender Wissenschaftler? Und es gäbe noch viele mehr. Aber nur wenige Journalisten weichen je von dem engen Schema ab, in dem bestimmte Produkte scheinbar umrissen werden müssen. Die Leser werden einfach in dem Glauben gelassen, dass es gute Antworten auf die gerade gestellten Fragen gibt. Michael Pollans hervorragender Artikel „Playing God in the Garden“39 ist in der Hinsicht die rühmliche Ausnahme.

Das nächste Problem: Nachrichten über angebliche Forschungserfolge sind selten mehr als klassische PR-Meldungen, die ein Produkt in den Himmel loben. Die Kunst besteht hauptsächlich darin, Fakten wegzulassen. Das ist allerdings im wissenschaftlichen Bereich nicht so harmlos, wie bei Meldungen über beispielsweise ein neues Mobiltelefon. Die Menge an wichtigen, aber unterschlagenen Informationen ist bei Berichten über gentechnische Errungenschaften erheblich. Ein Beispiel, das nicht technischer Natur ist: Der Leser soll glauben, dass die Agrarindustrie ein besonders menschenfreundliches Projekt durchführt. Ist es dann richtig, die Vorgeschichte des Industriezweigs wegzulassen? Zu verschweigen40, dass dieselben Firmen Bauern eingeschüchtert41und gefährliche Produkte42 hergestellt, hinterher aber alles abgestritten und sich ihrer Verantwortung entzogen haben?43

Die Autoren solcher Artikel argumentieren einerseits vermutlich zurecht, dass aufgrund des beschränkten Platzes einiges Wissen vorausgesetzt werden muss. Die Leser können andererseits Auslassungen aber nur schwer erkennen, wenn die widersprüchlichen Fakten oder Ansichten nie publiziert wurden – weder in der eigenen Zeitung, noch in anderen kommerziellen Medien. Beispielsweise veröffentlichte der Weltagrarrat einen von mehreren hundert Wissenschaftlern verfassten Bericht,44 laut dem verstärkte Industrialisierung und der Einsatz genmanipulierter Pflanzen nicht geeignet seien, um gegen die Verarmung in der Landwirtschaft vorzugehen. Die New York Times als „führendes“ Blatt verschwieg den Bericht komplett – erst Jahre später wurde er von Gastautoren gelegentlich erwähnt.

Ein weiteres Beispiel: In Artikeln über wissenschaftliche „Errungenschaften“ wird der technische Erfolg viel zu häufig als selbstverständlich hingestellt – als ob Biotechnologen auf Wunsch jede beliebige Eigenschaft in Pflanzen einsetzen könnten. Verschwiegen wird dabei,45 dass heute alle kommerziell genutzten genmanipulierten Pflanzen auf sehr wenigen, einfach gestrickten Modifikationen konventioneller Züchtungen beruhen. Insekten- und Herbizidresistenzen werden durch einzelne Gene erreicht. Sie erfordern weder ein umfassendes Verständnis der biochemischen Vorgänge, noch ein Eingreifen in sie. Dagegen sind die neuen „humanitären“ Eigenschaften (oft in vielerlei Hinsicht) gewagte Abstecher in viel schlechter verstandene Gebiete der Biologie.

So erklärt sich die Diskrepanz zwischen Pressemeldungen und breiter Zustimmung auf der einen Seite, und der Realität auf der anderen: Zwei der fünf hier vorgestellten wissenschaftlichen „Durchbrüche“ sind gescheitert (oder haben nie existiert), und bei den restlichen kam man über das Versuchsstadium nicht hinaus. Das zeigt, wie unseriös die einseitige und für den Leser wertlose Berichterstattung über die Gentechnik ist. Es offenbart uns auch (nützlicherweise), wie umfassend der Journalismus durch die Interessen der Agrarkonzerne beeinflusst wird.

Warum werden potenzielle zukünftige Erfolge gefeiert, die tatsächlichen Misserfolge aber ignoriert? Die journalistischen Motive lässt Gregg Easterbrook in einem Gastkommentar46 über nährstoffangereicherte genmanipulierte Pflanzen in der New York Times vom 19. November 1999 durchblicken:

„Wichtig ist aber, im Hinterkopf zu behalten, dass die transgenen Nutzpflanzen, über die heute berichtet wird, nur die ersten Ausprägungen einer grundlegend neuen Idee sind. Es kommen noch viel bessere Versionen.“

Alles, was zählt, sind demnach die theoretischen Möglichkeiten. Alle gescheiterten Versuche sind irrelevant. Und genauso sieht auch die Industrie die Lage. Das ist vergleichbar mit Berichten über die Kernenergie, in denen der humanitäre Nutzen des Atomstroms betont wird, ohne die Unfälle, Mehrkosten und Vertuschungen zu erwähnen.47 Leider deuten diese Geschichten48 (und andere, ähnlich bedeutende)49 darauf hin, dass die unkritische, industriefreundliche Arbeitsweise heute den gesamten Wissenschaftsjournalismus durchzieht.50

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