Geheimnisse der irischen Rundtürme (Teil 1)

Alanna Moore - Kraftturm 100px - 72dpiÜberall in Irland ragen massive Rundtürme aus den Ruinen alter Klöster empor. Obwohl sie mutmaßlich im christlichen Mittelalter errichtet wurden, sind sie mit keltischen Symbolen verziert und stehen im Zentrum alter Rituale. Welchem Zweck sie ursprünglich dienten, ist bis heute nicht vollständig geklärt. Während viele Historiker sie als Glockentürme bezeichnen, gibt es Anzeichen dafür, dass sie besondere Kraftorte markieren und wie steinerne Antennen kosmische Energien in den Boden übertragen.

Es ist gut möglich, dass ihre bevorzugte Position die direkte Nachahmung einer europäischen Sitte war, welche den Glockenturm einer besonderen architektonischen Ausstattung zurechnete, dem „Westwerk“. Zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert wurden karolingische Türme immer auf der Westseite der Kirche errichtet. Anders als die gleichzeitig erbauten irischen Türme standen die Glockentürme der Karolinger nicht frei, sondern waren anderen Bauwerken angegliedert.6

Ringfort

Offensichtlich erfüllte die irische Juxtaposition einen logischen Zweck, der rein praktischer Natur gewesen sein muss: Die Kirchengemeinde passte schlichtweg nicht in die kleinen Kirchen Irlands und versammelte sich während der Messen um das außerhalb der Kirche stehende Hochkreuz neben dem Turm, von wo aus sie das Geschehen an den Türen von Kirche und Turm beobachten konnte.

Pilgerreisen innerhalb Irlands

Im Fokus der inneririschen Pilgerreise standen viele urtümliche heidnische Praktiken, und man muss sich fragen, welche Relevanz sie überhaupt für den Christuskult hatte. Zum Glück sind auf diesem Wege viele faszinierende Volksbräuche bewahrt worden: Heidnische Götter wurden schlichtweg umbenannt und die einheimischen Feste in ein christlichen Gewand gekleidet; doch der Kern der Anlässe – das Feiern der zyklischen Fülle der Natur, die Huldigung ihrer fruchtbaren Energien und der Heilkräfte von Gewässern und Steinen – blieb erhalten.

So hallt in den bedeutenden Pilgerbräuche am Mount Brandon das gedämpfte Echo früherer Festlichkeiten zu Ehren des lokalen Erntegotts Crom Dubh wieder, dem am Crom-Dubh-Sonntag, dem letzten Sonntag im Juli, gehuldigt wurde. Die Wallfahrt beinhaltete eine nächtliche Besteigung des Berges, einen Gebetskreis um die Ruine eines alten Oratoriums, das auf dem Weg zum Gipfel lag, und abschließend den Besuch alter Grabhügel und eines Säulensteins namens „Rückenstein“ – die Pilger lehnten sich rücklings gegen ihn, um sich von Rückenbeschwerden zu befreien.

Nach der Besteigung des Gipfels war es Brauch, zum Dorf Cloghane zurückzukehren und dort Spiele zu spielen, Sport zu treiben, zu voltigieren, tanzen, singen, schlemmen und auf Brautschau zu gehen. Der katholische Klerus bemühte sich im 18. Jahrhundert dem Treiben einen Riegel vorzuschieben; doch im Jahr 1868 ließ ein Bischof die Tradition erneut aufleben. Heute ist Cloghane einer der wenigen Orte in Irland, an dem die Ernte an jenem Wochenende im Spätsommer noch gefeiert wird, was der Region regelmäßig einen regen Touristenstrom beschert.

Eine ähnliche viertägige Festlichkeit fand einmal im Jahr im südlich von Dublin gelegenen Glendalough statt, dem einst wichtigsten christlichen Lehrzentrum Irlands. Da es regelmäßig zu Raufereien, Trinkgelagen und kuriosen Parteigefechten kam, verbot die katholische Kirche die Wallfahrt im Jahr 1862. Glendalough ist eine der wenigen Pilgerstätten, zu der eine genau festgelegte Route führt, die von West-Wicklow aus über den Wicklow Gap verläuft. Am Anfang der Strecke wurde nahe der Ortschaft Hollywood ein Granitstein mit einer Labyrinthritzung entdeckt, die heute im Dublin Museum besichtigt werden kann.

Die Kirche verbot auch Wallfahrten nach Inis Cealtra, eine Insel im Lough Derg in der Shannon-Region, wo es der Legende nach einen heiligen Baum gegeben haben soll. Noch heute ist dort ein 24 Meter hoher Rundturm zu bewundern. Die Patronatsfeiern, die an einem alten Brunnen namens Lady’s Well abgehalten wurden, fallen mit dem Erntefest des keltischen Gottes Lugh zusammen. Das Verbot wurde erlassen, weil die Kirche es leid war, dass ortsansässige Männer junge Frauen für „Buschhochzeiten“ entführten – dies sei ein alter Brauch, mokierten die Männer, von dem sie kein Gesetzt abhalten könne.

Auf Inishmurray, einer Pilgerinsel vor der Küste der Grafschaft Sligo, besuchten die Pilger zunächst die heiligen Brunnen von St. Molais und anschließend eine Reihe von Fluchsteinen, von denen einige eingeritzte Kreuze aufweisen, die dem alten heidnischen Kult vermutlich einen christlichen Anstrich verpassen sollten. Die Steine zählen zu den meistverehrten Kennzeichen der Insel. Die eindeutig heidnische Tradition sah vor, zunächst eine Fastenzeit einzulegen, die Stätte dann gegen den Uhrzeigersinn zu umkreisen und die Steine schließlich dreimal umzudrehen, um bei jeder Umdrehung einen bestimmten Fluch hervorzubringen. War der Fluch nicht gerechtfertigt, fiel er auf den Fluchenden zurück. Im Zweiten Weltkrieg soll Adolf Hitler auf Inishmurray verflucht worden sein. Ganz in der Nähe befindet sich ein aufrecht stehender Stein mit Löchern in seinen Ecken. Der Brauch sah vor, dass werdende Mütter ihre Finger durch die Löcher stecken, um sich einer erfolgreichen Geburt zu versichern.

Ein weiteres interessantes Merkmal von Pilger- und Klosterstätten sind die Bullaune genannten Zeremoniensteine, in die bis zu neun tassenförmige Löcher gehauen sind. Manchmal werden sie mit Heilungen in Verbindung gebracht, etwa der Entfernung von Warzen. Seltener finden sich runde Steine in den Löchern einiger Bullaune, die ebenfalls als Fluchsteine Verwendung fanden, schreibt Harbison.

Die Wallfahrten in Glencolmcille in der Grafschaft Donegal begannen an einer protestantischen Kapelle, von der aus die Pilger barfuß zur ersten Station schritten: einem megalithischen Hügelgrab, an dem sie niederknieten und beteten. Die zweite Station markierte ein Säulenstein, den sie unter Gebeten und Kniefällen dreimal umrundeten. An der dritten Station knieten sie an einem Cairn mit besonderen Hohlräumen für die Knie nieder, nahmen einen rundlichen Stein in die Hand, segneten sich mit ihm und führten ihn dreimal um ihren Körper herum. Die nächste Station, die Kapelle des heiligen Colmcille, markierte eine lange Bodenfliese, die als Sankt Colmcilles Bett bezeichnet wird. Die Pilger legten sich darauf, drehten sich dreimal um sich selbst und nahmen etwas Erde von unterhalb des Bettes in ihre linke Hand. Diese Prozedur sollte vor Bränden schützen sowie Kopfschmerzen und andere Leiden heilen.

In der bedeutenden zentralirischen Klosterstadt Clonmacnoise wurde ein prachtvoller offener Halsring – ein sogenannter Wendelring – ausgegraben, der aus der Zeit um circa 3.000 v. Chr. stammen soll. In Clonmacnoise pilgerten die Gläubigen zum Schrein des Kirchenstifters St. Ciarán, und gruben etwas Tonerde aus, die sie zu Hause in ihr Trinkwasser gaben, wovon sie sich eine „zuverlässige Heilung von Krankheiten aller Art“ versprachen. (Ton ist auf der ganzen Welt als Heilmittel für viele Gesundheitsprobleme bekannt.) Der Rundturm von Clonmacnoise steht fast exakt in einer Linie mit jenem Abschnitt des Pilgerweges, der zum Schrein des heiligen Ciaran führt. Gleicht man die Gegend mit einer Sternenkarte des Nordhimmels ab, soll Clonmacnoise genau unter Polaris liegen, dem Nordstern.

Der Glaube an die Heilkraft der Erde eines Heiligengrabs war in den frühen Jahren des Christentums auch in Europa und anderswo weitverbreitet. Auch Glocken und anderen Reliquien wurden Heilkräfte und Wunderwirkungen zugeschrieben.8 Sie waren wichtige Zugpferde vieler Pilgerstätten und man kann sich leicht vorstellen, dass sie oftmals Anlass zur Plünderung von Klöstern gegeben haben – als Fortsetzung der Rivalitäten und Kämpfe, die schon immer zwischen den verschiedenen Klans herrschten.

Die Anfertigung gefälschter Reliquien war in diesen Zeiten ein lohnendes Geschäft. Es lässt sich an einer Hand abzählen, dass die souvenirhungrigen Pilger die Lehm- und Erdvorkommen der Stätten bald erschöpft hatten. Als Konsequenz errichtete man Barrikaden um viele Wallfahrtszentren, um die Menschen von ihnen fernzuhalten, und vielleicht lag die Eingangstür der Rundtürme so weit oben, um das massenhafte Eindringen von Pilgern und wunderdurstigen Besuchern zu unterbinden und ihnen die in den Türmen verwahrten Reliquien aus sicherer Entfernung präsentieren zu können.

Kommentar schreiben

Folgende Art von Kommentaren sind unerwünscht und werden von uns entfernt:

  • (Schleich-)Werbung jedweder Art
  • Kommentare die nichts zum Thema beitragen
  • Kommentare die der deutschen Sprache nicht gerecht werden
  • Geplänkel mit anderen Kommentarschreibern
  • Kontaktanfragen an die Redaktion (benutzen Sie hierfür bitte das Kontaktformular)

Bitte beachten Sie unsere Datenschutzhinweise