Das Marsgesicht und der Kampf um die Deutungshoheit

marsEin Plasmaphysiker, der in den großen Forschungszentren der USA tätig war, plaudert aus dem Nähkästchen. Sein Steckenpferd, die Marsforschung, veranlasste ihn nach der Analyse der vorhandenen Daten zum Mars, die „Neue Marssynthese“ zu formulieren: die Theorie, dass es erdähnliches Leben auf dem Mars gab. In diesem Buchauszug führt er einen Teil seiner Hypothese aus und erzählt von den Kontroversen um das Marsgesicht.

Viele Jahre waren vergangen, bevor eine neue Sonde, Mars Global Surveyor, ihre Umlaufbahn um den Mars aufnehmen konnte. Dr. Stanley McDaniel und Dr. Horace Crater hatten mittlerweile eine Dachorganisation ins Leben gerufen, die Society for Planetary SETI Research (SPSR). Die Bewegung, die sich mit der wissenschaftlichen Erforschung von Cydonia befasst, war rasch zu einer festen Größe innerhalb der Forschergemeinschaft geworden. Traurigerweise war Carl Sagan inzwischen gestorben, doch in einem seiner letzten Bücher, „Der Drache in meiner Garage“, hatte er zur gründlicheren Erforschung der Cydonia-Region aufgerufen.1 Allein schon aufgrund seiner unzähligen wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Arbeiten ist Sagan eine wahrhaft bedeutende Persönlichkeit gewesen; doch ich denke, dass man seinen Beitrag für die Erkundung von Cydonia eines Tages als seine größte Leistung einstufen wird. Die Unterstützung, die er uns kurz vor seinem frühen Tod erwiesen hat, kann meines Erachtens als ein Wendepunkt angesehen werden.

Ich hatte zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten über den Mars präsentiert bzw. veröffentlicht und meine Ergebnisse zu der „Neuen Marssynthese“ – so hatte ich meine Theorie genannt – zusammengeführt. Es handelte sich um ein völlig neuartiges Konzept über die geochemische Entwicklung des Mars, das aus der Informationsflut schöpfte, die von Meteoriten, Sonden und Landefahrzeugen zur Verfügung gestellt worden war.2

Wir schrieben das Jahr 1998, und ich fühlte mich geehrt, gemeinsam mit Dr. Stanley McDaniel, Dr. Horace Crater und Dr. Mark Carlotto – allesamt Mitglieder der SPSR – in einem Konferenzraum des NASA-Hauptquartiers sitzen zu dürfen. Uns gegenüber hatten etliche leitende Beamte, die für das Planetenüberwachungsprogamm der NASA zuständig waren, Platz genommen. In einer recht freundlichen Atmosphäre ergriffen wir Mitglieder der SPSR, einer nach dem anderen, die Gelegenheit, für unsere Sache einzutreten, indem wir in einer fünfminütigen Zusammenfassung unsere Gründe darlegten, weshalb wir glaubten, dass eine erneute Abbildung des Marsgesichts ein entscheidender Forschungsbeitrag wäre. Außerdem beschwerten wir uns mit Nachdruck über das Verhalten und die öffentlichen Äußerungen von Mike Malin, dem Gründer von Malin Space Science Systems, dessen Abkürzung MSSS nicht ohne Grund MiSSStrauen erweckte.

Ich persönlich brachte zur Sprache, dass Malin jammerte, das kilometergroße Gesicht sei zu klein, um es abzubilden, während er sich gleichzeitig damit brüstete, dass er vorhabe, mit seiner Kamera den viel kleineren Sojourner-Rover auf dem Mars zu fotografieren.

„Das ist natürlich eine ziemlich ironische Gegenüberstellung seiner Äußerungen“, sagte ich zu den Projektmanagern der NASA, die wissend blickten und grinsten. Schon zuvor hatte Malin Probleme mit der etablierten Marsforschung bekommen, weil er Fotos vom Mars gesperrt hatte. Vom NASA-Hauptquartier wurde er offensichtlich als Ärgernis angesehen.3 Aber das JPL schien zufrieden mit ihm zu sein.

Dr. Horace Craters Untersuchung einer Reihe von kleinen Erhebungen, die sich in Cydonia rund um das Gesicht und die Pyramide befinden, schlug die NASA-Beamten besonders in ihren Bann, weil sich diese Hügel durch ihre geometrische Vollkommenheit und eine numerische Anordnung auszeichnen.4

Ich lieferte eine Zusammenfassung meiner Neuen Marssynthese und der Cydonia-Hypothese, wobei ich den NASA-Offiziellen gegenüber anmerkte, dass die Entdeckung einer ausgestorbenen Zivilisation auf dem Roten Planeten die „weiche Landung“ schlechthin wäre, wenn es darum ging, der Öffentlichkeit begreiflich zu machen, dass sie Teil eines belebten Universums sei. Ich führte aus, dass sich die Menschheit weit weniger bedroht fühlen würde, da diese Zivilisation ausgestorben wäre. Insgesamt schienen die NASA-Offiziellen von der Professionalität und Gründlichkeit unserer wissenschaftlichen Präsentationen beeindruckt zu sein und willigten ein, das Marsgesicht bei allernächster Gelegenheit erneut zu fotografieren. Auch sagten sie zu, die Bilder unverzüglich und unvoreingenommen freizugeben, sobald sie sich in ihrem Besitz befänden.

Doch leider sollten wir in Erfahrung bringen, dass niemand das JPL oder seinen Auftragnehmer MSSS über diese Übereinkunft informieren würde.

Von Erosionsspuren und Marsmeteoriten

Um den Umweltbedingungen auf die Spur zu kommen, die in der Vergangenheit des Roten Planeten geherrscht haben, bietet sich das Gesicht in der Cydonia-Region als Schlüsselobjekt an. Denn es legt die Vermutung nahe, dass der Mars während des größten Teils seiner geologischen Geschichte der Erde ähnlich gewesen sein muss, und zwar in jeder Hinsicht: Ein Planet, auf dem das Vorhandensein eines solchen Bauwerkes überhaupt plausibel ist, muss nicht nur über flüssiges Wasser verfügt haben, sondern auch über eine rasch wirkende Erosion (zumindest im Norden) sowie eine sauerstoffhaltige Atmosphäre, die auf eine erhebliche Fotosyntheseaktivität zurückzuführen ist. Die Viking-Daten haben Auskunft darüber gegeben, dass die Oberfläche des Planeten mit stark oxidiertem Eisen (Hämatit) bedeckt ist, das dem Mars seine rote Farbe verleiht, ähnlich den Wüsten der Erde, wenn man sie aus dem Weltall betrachtet. Die Vorstellung von einer erdähnlichen Klimageschichte des Mars bildete einen roten Faden, anhand dessen sich das riesige Archiv an Viking-Bildern und weiteren Messdaten auswerten ließ: Falls das terrestrische Modell zutraf, würden unterstützende Belege überall ihrer Entdeckung harren. Und so war es auch. Im Jahr 1984 konnten generell große Fortschritte in der Marsforschung erzielt werden, da der riesige Berg der Viking-Daten abgearbeitet wurde. Weil die Viking-Orbiter viele kraterlose, geologisch junge, terrestrisch anmutende Gegenden mit Wasserläufen abgebildet hatten, war das lunare Marsmodell jetzt ernsthaft gefährdet. Die Gipfel der Marsvulkane machten einen frischen Eindruck – so, als ob noch in geologisch jüngerer Zeit Lava geflossen wäre. Eine der größten Entdeckungen des Jahres 1984, die den Mars betrafen, hatte indirekt mit dem Viking-Programm zu tun: der Fund des Meteoriten ALH84001. Wie sich herausstellen sollte, stammte er nämlich vom Roten Planeten.

Der Herkunftsort der Marsmeteoriten ließ sich ermitteln, weil die Viking-Landegeräte das einzigartige Muster der Edelgas-Isotope in der Marsatmosphäre aufgezeichnet hatten. Darüber hinaus wurde enthüllt, dass die Oberfläche des Mars reich an hochoxidiertem Eisen war – eine Tatsache, die sich gut mit einer sauerstoffreichen Atmosphäre in der Vergangenheit des Roten Planeten vereinbaren ließ. Des Weiteren gaben die Viking-Bilder darüber Auskunft, dass die Gipfel der Marsvulkane recht junge, kraterlose Lava-Oberflächen besitzen, was als ein Hinweis auf noch nicht sehr lange zurückliegende vulkanische Aktivität gedeutet werden konnte. Nichts davon ließ sich mit dem lunaren Marsmodell vereinbaren, doch umgekehrt sprachen alle drei Tatsachen für das terrestrische Konzept. Jede dieser Einzelinformationen harmonierte mit der Auffassung, dass es sich bei den Meteoriten um junge Lavagesteine vom Mars handelte, die dem sauerstoffreichen Grundwasser ausgesetzt waren. Sie enthielten Einschlüsse mit Edelgasen, die offensichtlich über das Grundwasser eingedrungen waren, das in Kontakt mit der Marsatmosphäre gestanden hatte.

Dass diese Fakten einen Wasserkreislauf wie auf der Erde, Niederschläge aus der Atmosphäre und das Versickern in den Boden voraussetzten, damit sich Grundwasser bilden konnte, blieb unausgesprochen. Der Mars konnte nur dann als Herkunftsort der Meteoriten identifiziert werden, wenn man ein terrestrisches Modell der jüngsten Vergangenheit des Planeten in Erwägung zog. Die Auffassung vom Mars als einem nackten Gesteins­planeten genügte nicht. Doch obwohl man widerwillig akzeptierte, dass die Marsmeteoriten tatsächlich vom Mars stammten, behielt das lunare Marsmodell vorerst die Oberhand (auch wenn dem Mars als geringfügiges Zugeständnis eine frühe feuchte und warme Periode vor einigen Milliarden Jahren zugesprochen wurde). Insbesondere wurde nach wie vor die lunare Altersbestimmung angewendet, ohne zu berücksichtigen, dass die (radiometrisch datierten) Marsmeteoriten allesamt viel jünger waren als irgendein Gebiet auf dem Mars, dessen Alter man mithilfe der lunaren Methode ermittelt hatte.

Den vollständigen Artikel können Sie in NEXUS 78 lesen. Die Ausgabe können Sie hier erwerben. John E. Brandenburgs komplettes Buch finden Sie ebenfalls im Online-Shop des Mosquito Verlags.

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