Die Pest der Korruption

korruptionKent Heckenlively bezeichnet sich selbst­ironisch als „weltweit führenden Impfgegner“. Gemeinsam mit Dr. Judy Mikovits hat er nun ein Buch verfasst, das, wie man sich denken kann, viel Zündstoff birgt. In ihrer 25-jährigen wissenschaftlichen Laufbahn hat die Molekularbiologin Pionierarbeit in der Krebs- und Aidsforschung geleistet. So untersuchte sie bereits 1998 epigenetische Veränderungen, die Retroviren im Genom ihrer Wirtszellen hervorrufen.

2009 veröffentlichte das Wissenschaftsmagazin Science einen Artikel (Lombardi et al.), in dem Mikovits und ihre Mitautoren einen Zusammenhang zwischen dem Retrovirus XMRV und dem chronischen Erschöpfungssyndrom (im Folgenden als ME/CFS bezeichnet) nachweisen konnten. Eine bahnbrechende Entdeckung, die noch dazu in der bedeutendsten US-amerikanischen Fachzeitschrift erschien – die Forscherin glaubte sich am Höhepunkt ihrer Karriere. Und damit lag sie goldrichtig.

Das Dumme war nur, dass es von nun an ungebremst bergab ging. Im ersten Kapitel schildern die Autoren, wie es dazu kam, dass Science den Artikel zwei Jahre später zuerst teilweise und schließlich vollumfänglich zurückzog. Dass Mikovits seit jeher nicht gerade durch blinden Gehorsam bei ihren Vorgesetzten punkten konnte, wird aus Kapitel 2 ersichtlich. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit plötzlichen Todesfällen von impfkritischen Personen und Forschern, die in die XMRV-Affäre verwickelt waren, beispielsweise der Chefredakteur der Zeitschrift Retrovirology. Anschließend erläutern die Autoren, dass in manchen Studien, die ein häufigeres Auftreten von XMRV im Blut von ME/CFS-Patienten nicht bestätigen konnten, nach einem molekularen Klon gesucht worden war und nicht nach dem eigentlichen Virus. Ferner wird die Möglichkeit erörtert, dass Kinder von Müttern, die an ME/CFS leiden, mit höherer Wahrscheinlichkeit an Autismus erkranken. Im letzten Drittel des Buches stellen die Autoren die Geschehnisse rund um das Retrovirus in einen größeren Zusammenhang. Sie diskutieren unter anderem, wie HIV, Ebolavirus und SV40 auf den Menschen überspringen und sich derart erfolgreich ausbreiten konnten.

Die Lehrbuchmeinung hinsichtlich XMRV lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Das neuartige Retrovirus, das 2006 aus Gewebeproben von Prostatakrebspatienten isoliert und 2009 von Dr. Mikovits und ihren Kollegen im Blut von ME/CFS-Patienten nachgewiesen werden konnte, soll einer Studie aus dem Jahr 2011 zufolge irgendwann zwischen 1993 und 1996 durch Rekombinationsvorgänge zwischen zwei endogenen Mausretroviren entstanden sein, nachdem menschliches Tumorgewebe in Nacktmäuse transplantiert worden war. Folglich beruhen die Nachweise auf Verunreinigungen und nicht auf Infektionen.

Der Ausschluss von Dr. Mikovits aus der Forschergemeinde scheint darauf zurückzuführen zu sein, dass sie um keinen Preis von ihrer Entdeckung abrücken wollte, wie weitreichend die Folgen auch sein mochten. Es gab etliche Studien, die ihr widersprachen, doch Lo et al. veröffentlichten 2010 Forschungsergebnisse, die die ursprüngliche Studie hinsichtlich der Korrelation zwischen XMRV und ME/CFS sogar noch übertrafen. Der Artikel wurde 2012 wieder zurückgezogen; allerdings betonen die Autoren in ihrer Erklärung, dass sich die Ergebnisse als reproduzierbar herausgestellt hätten und Kontamination nicht der Grund für diesen Schritt gewesen sei. Ob Judy Mikovits eines Tages in einem Atemzug mit Ignaz Semmelweis und Rachel Carson genannt wird, wie Robert F. Kennedy junior im Vorwort andeutet, hängt wohl von der Lösung dieses wissenschaftlichen Rätsels ab. Es bleibt zu wünschen, dass dieses aufwühlende Buch einen Beitrag zur Wiederaufnahme der einschlägigen Forschung leisten kann.

Dr. Judy Mikovits & Kent Heckenlively
Unimedica

300 Seiten
ISBN: 978-3-96257-189-4
€ 19,80

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