Einmal Ketzer, immer Ketzer: Rupert Sheldrake im Interview

KetzerWie schafft es Rupert Sheldrake nur, das Establishment ein ums andere Mal derart aus der Reserve zu locken? Der Nature-Herausgeber John Maddox wollte in einer Rezension tatsächlich seine Bücher „verbrennen“ und bezeichnete sie als „Ketzerei“ – das muss man in unserer ach so aufgeklärten Moderne erst einmal schaffen. Was ist denn nun so schlimm an Rupert Sheldrakes Thesen, dass die Orthodoxie derart die Wände hochgeht? Seine Forschungen zur Telepathie? Zur Morphogenese? Zur Top-down-Kausalität? Seine Theorien jedenfalls sind falsifizierbar und seine Argumente sachlich.

Dr. Rupert Sheldrake ist ein bedeutender Biologe und Autor, dessen Ansichten über die Musterbildung in der Natur von weiten Teilen der wissenschaftlichen Gemeinschaft kritisiert wurden. Er war von 1967 bis 1973 Direktor für Zellbiologie und Biochemie am Clare College in Cambridge, wo ihm klar wurde, dass die reduktionistische Analysemethode nicht ausreichend erklären kann, wie Organismen ihre endgültige Form annehmen. Seiner Theorie nach können wir nur erklären, wie sich Zellen replizieren, aber nicht, wie sie sich zu den einzelnen Zelltypen differenzieren – daher muss eine Art „morphisches Feld“ existieren.

Diese Hypothese der „morphischen Resonanz“ stellte er in seinem ersten Buch „A New Science of Life“ (dt.: „Das schöpferische Universum: Die Theorie des morphogenetischen Feldes“) vor, das in einer berüchtigt gewordenen Rezension desNature-Herausgebers John Maddox als „Ketzerei“ bezeichnet wurde, die man „verbrennen“ sollte.

Trotz heftiger Kritik veröffentlichte Sheldrake weiterhin Werke, in denen er auf glaubwürdige Art seine Thesen über das Gedächtnis der Natur, ein gehirn­unabhängiges Bewusstsein und die telepathischen Kräfte lebender Organismen vertrat. Seiner Meinung nach steckt die moderne Wissenschaft in einem mechanistischen Paradigma fest. „Der Wissenschaftswahn“ – das siebente seiner neun Bücher – fand so großen Anklang, dass Sheldrake einen TED-Vortrag halten durfte, in dem er seine Kritik an der aktuellen wissenschaftlichen Praxis zusammenfasste. Aufnahmen seines Vortrags wurden dann von den Veranstaltern zensiert.

Seine Zusammenarbeit mit dem Ethnobiologen Terence McKenna in den 1990er-Jahren führte zu einer öffentlichen Diskussion über Mysterien und Spiritualismus, aber auch über den erweiterten Geist und das kollektive Bewusstsein. Beide Forscher befürworteten die Verwendung von psychedelischen Substanzen zum Erlangen entsprechender Erkenntnisse.

Das Interview

Robert Boucnik: Ich würde behaupten – und ich glaube nicht, dass ich hier für mich allein spreche, sondern für alle Menschen, die Ihre Arbeiten lesen, um dazuzulernen –, dass die wertvollste Einsicht, die wir durch Sie gewonnen haben, die Zelldifferenzierung betrifft. Sie haben aufgezeigt, dass wir im Bereich der Molekularbiologie eigentlich nur wissen, wie sich Zellen replizieren und duplizieren, aber nicht, wie sie sich tatsächlich verändern. Die meisten Menschen verlassen sich auf die falsche Ansicht, dass die Erbanlagen der einzige Faktor sind, der den Dingen ihre endgültige Form verleiht.

Sie weisen jedoch darauf hin, dass der Inhalt der Stammzellen, mit denen alles beginnt, nichts mit dem Endergebnis zu tun haben kann. Alle diese Zellen sind ursprünglich identisch, verwandeln sich aber dann in Nervenzellen, Hautzellen, Blutzellen usw. Dafür muss etwas anderes verantwortlich sein. Sie postulieren die Existenz morphischer Felder als eine Erklärung dafür und erweitern diese These um die morphische Resonanz, die auch Muster einschließt, die in verschiedenen Teilen der Raumzeit immer wieder auftauchen. Bei der morphischen Resonanz gilt dies aber nicht nur für Formmuster, sondern auch für Verhaltensmuster. Daher müssen wir uns ernsthaft mit Themen wie dem kollektiven Gedächtnis etc. befassen.

Wegen dieser Behauptungen kritisiert man Sie seit Jahren und verunglimpft Sie als pseudowissenschaftlichen, verantwortungslosen Mystiker usw. Statt Ihnen also eine Frage zu stellen, die Sie schon tausendmal beantwortet haben, werde ich versuchen, sie ein wenig abzuwandeln.

Sie haben auf Ihre Kritiker reagiert, indem Sie sagten, sie seien Teil eines atheistischen und materialistischen Glaubenssystems, das echte wissenschaftliche Forschung behindert. Natürlich haben diese Leute das Recht, Ihre Hypothese von den morphischen Feldern zu kritisieren, aber ich glaube, dass die dominante materialistische Tendenz in der wissenschaftlichen Gemeinschaft dazu führt, dass deren Vertreter nicht nur Ihre Antworten ablehnen, sondern auch leugnen, dass die dahinterstehende Fragestellung überhaupt existiert. Warum ist das Ihrer Meinung nach so – was haben diese Leute für ein Problem?

Rupert Sheldrake: Ich finde, das Hauptproblem ist wirklich ein Glaubenssystem. Die meisten meiner Kritiker sind mechanistische Materialisten. Oder anders ausgedrückt: Sie glauben, dass das Universum mechanisch funktioniert, wie eine Maschine, dass es aus Materie besteht, dass diese Materie unbewusst und ziellos ist und dass das gesamte Universum ausschließlich aus unbewusster, rein materieller Substanz besteht. Das ist der Grundgedanke des Materialismus.

Dies führt aber auch zu der Vorstellung, dass das Gehirn den Geist hervorbringt und dass der Geist einfach nur im Kopf existiert. Er ist demnach ein unerklärliches Epiphänomen, eine vom Gehirn erzeugte Halluzination oder Illusion. Materialisten gehen zudem davon aus, dass die Natur fixen Gesetzen unterliegt, die sich im Laufe der Zeit nicht ändern.

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