The Super Natural: Why the Unexplained Is Real

supNicht jedem von uns wurde die zweifelhafte Freude zuteil, der Anderswelt persönlich zu begegnen. Whitley Striebers Entführung in den Weihnachtstagen 1985 ist da wie ein Saatkristall, der sich in so einige Köpfe fortgepflanzt haben dürfte. Nicht unschuldig daran ist da die Wahl des Covers zu „Communion“ (dt. „Die Besucher“), das uns den gruseligen Archetypen eines Greys beschert hat, aber auch, dass Strieber als professioneller Schreiberling ein Buch nach dem anderen auf den Markt gehauen hat.

Wenn man so liest, was er seit seiner ersten Begegnung mit dem Goblin-Universum über die Jahre erlebt hat, könnte man meinen, Strieber höchstpersönlich ist ein Hotspot, um den sich die Aktivitäten tummeln: von blauen Kobolden über erzwungenen Sex mit einer Außerirdischen bis hin zu geheimen Militär­operationen und Mind Control ist alles dabei. Ich habe beim Lesen mehrfach mit dem Kopf geschüttelt, denn die Erlebnisse, die er beschreibt, sind hochgradig verstörend, wenn nicht unglaubwürdig: Der Verstand wehrt sich einfach, und ohne den Mann persönlich zu kennen, kaufe ich ihm auch nicht alles ab.

Aber jetzt kommts: Das, was das Buch auszeichnet, ist nicht die x-te Repetierung seiner lebenslangen Freakshow, sondern der aufrichtige Versuch, seine Erlebnisse als real existierendes Phänomen der Welt, in der wir leben, einzuordnen. Dazu hat er als Koautor Jeff Kripal hinzugeholt, einen Religionswissenschaftler, der in den vergangenen Jahren in sämtlichen alternativen Kanälen von Rang und Namen die Klinke gedrückt haben dürfte. Kripal verkörpert das, was sich jeder am Paranormalen Interessierte von wissenschaftlicher Seite wünscht: Aufgeschlossenheit und den Schneid, den Geschehnissen ins Auge zu blicken. Dass der Mann Ahnung hat, zeigen die gelehrten Querverweise und Fallbeispiele, anhand derer er Striebers Erfahrungen in den historischen Kontext einordnet. Das ist Kripals zentraler Punkt, der sich auch durch seine anderen Veröffentlichungen zieht: Er zeigt, dass Striebers Erfahrungen weder absonderlich noch selten sind, sondern allgegenwärtig – und derartige Kontakte die Menschheit seit Urzeiten prägen.

Durch den Dialog der beiden (jeder schreibt abwechselnd ein Kapitel) zieht sich der Wille, aus den losen Fäden der Begegnungen mit der Anderswelt einen Teppich zu knüpfen. Letztlich machen sie etwas, das jede moderne Wissenschaft in ihren Kinderschuhen getan hat, bevor sie die Lupe vor die Nase setzte: Sie skizzieren die Karte eines Landes, das … nun ja, eigentlich schon immer da war. Es hat nur noch niemand systematisch kartografiert. Wie man dabei vorzugehen und was man zu beachten hat, um gerade dem Aspekt des Irrationalen Rechnung zu tragen, fasst Kripal im Anhang zusammen. Die Punkte sollte sich jeder Erforscher des Paranormalen hinter die Ohren schreiben, und da sie mir gerade in dieses Heft zu passen scheinen, will ich sie hier festhalten:

(1) Neutrales Erfassen: So irre das Erlebte scheint – Daten sind Daten, und als solche sollte man sie neutral und vollständig aufzeichnen, ohne voreilige Schlüsse zu ziehen.

(2) Trennen: Nämlich das, was man wahrzunehmen meint, von dem, was ist. Bei Begegnungen mit dem Unbekannten kommen uns immer unsere neurologischen Filter und Glaubensmuster in die Quere, sodass hier häufig voreilige Schlüsse gezogen werden.

(3) Einordnen: Um größere Muster erschließen, aber auch das Individuelle des Erlebten erfassen zu können, ist der Blick aufs Umfeld essenziell: Hat es ähnliche Erfahrungen schon in der Geschichte gegeben? Welche Bilder, welche Erscheinungsformen sind nur in einem modernen Kontext deutbar?

(4) Interpretieren: Alles deutet darauf hin, dass man mit einer intelligenten Entität in Kontakt tritt, weshalb das Wahrgenommene auch als Kommunikationsversuch gedeutet werden kann. Nur: Was will sie uns sagen?

(5) Bezug zur Erotik: Ein Punkt, der zunächst befremdlich anmutet – aber bei vielen Kontakten mit der Anderswelt spielt das Sexuelle eine Rolle. Es könnte darauf hindeuten, dass die Triebkräfte des Menschen bedeutsam sind oder von bestimmten Erscheinungsformen des Phänomens genutzt werden.

(6) Hinnehmen: „Sit with the paradox“ heißt es da im Englischen: Man muss lernen, die Widersprüchlichkeiten zu ertragen, die sich aus der Verschmelzung von innerer und äußerer Welt ergeben. Auf diese nämlich deuten viele Augenzeugenberichte – lauert da eine noch unverstandene Naturkraft?

(7) Suche nach dem Trauma: Oft hinterlassen traumatische Erlebnisse einen psychischen Knacks, durch den man für außergewöhnliche Ereignisse sensibel wird oder sogar entsprechende Begabungen entwickelt. Könnte es sein, das solche Erlebnisse unser Ego aufbrechen und uns für eine Kommunikation mit der Welt neben der Welt öffnen?

(8) Energiephänomene: Im Umfeld paranormaler Ereignisse kommt es häufig zu physikalischen Manifestationen wie Plasmabällen oder Magnetfeldanomalien. Sind diese vielleicht lebendig und kann man mit ihnen in Kontakt treten?

(9) Wiederholen: Im materialistischen Weltbild der Moderne sind paranormale Erlebnisse nicht mehr Teil der offiziellen Realität. Daher soll man sich fragen, ob man die Schweigespirale weiter nähren will oder sich nicht lieber mit Gleichgesinnten zusammentut, um das Erlebte durch Erzählen zu verarbeiten und integrieren zu können.

Auch wenn die Ausführungen von Strieber und Kripal mir stellenweise einen Tick zu geisteswissenschaftlich und selbstverliebt daherkommen, scheint mir diese eher am Messinstrument Mensch orientierte Herangehensweise an paranormale Phänomene und Erlebnisse doch die passendere zu sein als die der harten Naturwissenschaft.

Apropos Natur: Da sind wir nämlich bei dem Problem, das dem Dilemma der Moderne und der Frage zugrunde liegt, warum das Paranormale ein Schattendasein führt. Im Buchtitel wurde „Super Natural“ bewusst auseinander geschrieben, denn so etwas wie „übernatürliche“ Phänomene kann es gar nicht geben – es sind schlicht Teile der Natur, die wir noch nicht kapiert haben.

Whitley Strieber, Jeffrey J. Kripal
tarcher perigee
365 Seiten
ISBN: 980-0-143109-50-1
€ 5,59

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