Das Grauen im Paradies: Die John McAfee Story, Teil 7

24. November 2012

Wischen Stopwir uns jetzt den Geifer vom Mund, der uns beim Betrachten der Bilder aus dem Leben John McAfees entstanden sein mag, und versuchen wir, dem Mann eine faire Behandlung zu geben. Was also bleibt, wenn wir die Sache unter menschlichen Gesichtspunkten betrachten?

  • Wir haben hier einen Multimillionär, der sich ehemals mit 100 Millionen Dollar aus dem bürgerlichen Leben verabschiedet hat, um seine Träume zu leben. Wer von uns würde das nicht genauso gerne tun? Kein Makel.
  • Als Lehrer und Autor für Yoga ist John sehr erfolgreich. (In seinem Blog bedanken sich noch jetzt frühere Teilnehmer seiner Kurse für seinen inspirierenden Unterricht und seine Großzügigkeit.) Es ist klar, dass der Mann von anderen Themen angezogen ist, als nur vom schnöden Materialismus. Kein Makel.
  • In der von ihm gegründeten Flugschule (Aerotrekking) kommt es zu einem tödlichen Unfall, bei dem John selbst zwar nicht zugegen ist, aber der Pilot ist sein Neffe, der mit einer unzureichenden Lizenz als Fluglehrer gearbeitet hat und auf einem gefährlichen Flug in einen Canyon zusammen mit seinem Passagier umkommt. Als Inhaber der Flugschule trifft John hier sicherlich eine gewisse Verantwortung. 
  • Als die Aasgeier in Form von Rechtsanwälten Beute wittern und John eine millionenschwere Klage wegen des Unfalls in seiner Flugschule droht, entschließt er sich, in ein Land auszuwandern, in dem ihn diese Klagen nicht tangieren. Von den ehemals hundert Millionen ist ihm durch den Banken-Skandal der Lehman Brothers nur noch ein Bruchteil geblieben. Hätten Sie anders gehandelt?
  • Das schöne Leben im tropischen Paradies allein ist John nicht genug. Er stößt per Zufall auf ein brandheißes Forschungsfeld und versucht "nebenbei" ein wenig bahnbrechende Forschung machen zu lassen. Da trifft es sich günstig, dass die von ihn angeheuerte Harvard-Biologin auch noch sehr gut aussieht. Wer könnte John diesen Plan verübeln?
  • Da er einen starken Hang zu Frauen hat, dauert es nicht lang, bis John an seinem neuen Wohnort verschiedene Mädels aus dem Mileu aufgabelt, die nicht nur jung und gutaussehend sind, sondern ihm auch die Augen für die himmelschreienden Missstände im Tropenparadies öffnen. John entdeckt seine soziale Ader und beginnt auf eigene Faust, verschiedene "Verbesserungen" in der sozial extrem schwachen Umgebung seines Wohnortes anzuleiern. Er rüstet die örtliche Polizei auf eigene Kosten auf, baut für viel Geld ein lokales Puff zu einem Familien-Café um, gründet ein Wasser-Taxi-Unternehmen und tritt überhaupt an vielen Stellen als Wohltäter auf. Viele Menschen bezeugen seinen Hang zu Parties genauso wie seine Grosszügigkeit. Ich kann darin keinen großen Makel erkennen. 
  • Als Johns eigenmächtige Eingriffe in die Sozialstruktur von Belize und seine Versuche, den Drogenhandel auf seiner Insel einzuschränken, auf Widerstand treffen, scheint er zu begreifen, dass er sich mit diesem Handeln nicht nur Freunde macht. Seine Strategie besteht darin, die bedrohlichsten Kriminellen lieber als Leibwächter einzustellen, anstatt sich vor ihnen zu fürchten. Er baut sein Anwesen zu einer Festung aus. Die Harvard-Biologin verlässt ihn in Abscheu, denn er hatte ihr eine absolut friedfertiges Arbeitsfeld versprochen. Dies scheint der Wendepunkt zu sein, an dem das Leben für John McAfee langsam zur Hölle wird. Sein Hang zur Paranoia macht es ihm dabei bestimmt nicht leichter, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden. Seine sexuellen Abenteuer wahrscheinlich auch nicht. Man kann zwar nicht erkennen, dass sich John in dieser Phase eine Schuld auflädt, doch es mag sein, dass die Anzahl unkluger Entscheidungen zunimmt. Wen wundert's.
  • Als die Dinge zu eskalieren beginnen, erscheint gleichzeitig die Geschichte über ihn in WIRED. Alle Welt blickt nun auf McAfee, die Berichterstattung der Mainstream-Medien trieft vor Hohn, und als die Polizei in der Mordsache auf dem Nachbargrundstück gegen ihn ermittelt, ist plötzlich jeder überzeugt: McAfee war's. An dieser Stelle beginnen ihn verschiedene Sünden aus seiner Vergangenheit einzuholen: Seine Einlassungen über die Droge DMPV tan, der Streit mit seiner Angestellten, der Biologin, die ihn im Zorn verlasssen hat, die Unwahrheiten, die er in der Vergangenheit der Presse gefüttert hat, die jungen Mädchen, mit denen er allzuoft gesehen wird, seine langjährige Beziehung, die wegen ebendieser Mädchen in die Brüche ging … verschiedene kleine Sünden türmen sich nun zu einem hohen Berg auf, und plötzlich ist John McAfee auf sich allein gestellt. Makel? Vielleicht. Schicksal? Viellegottnochmalicht auch.
  • McAfee versteckt sich zuerst vor der Polizei und taucht dann in den Untergrund ab. Dies als Feigheit zu werten hieße, die Realität korrupter Justiz zu verkennen. Es geht inzwischen um die Rettung seiner blanken Haut. Kein Makel.
  • Es wäre wahrscheinlich ein Leichtes für John McAfee gewesen, das Land zu verlassen und sich irgendwo anders in Südamerika in Anonymität ein neues Leben aufzubauen. Das tut er aber nicht, und hier kommt der Punkt, an dem ich ihm meinen vollen Respekt zolle. Trotz der mittlerweile immensen Gefahr für sein Leib und Leben startet er ein Blog, über das er mit der Außenwelt kommuniziert. Dort steht er Rede und Antwort und prangert nach wie vor die verborgenen Unmenschlichkeiten seiner Wahlheimat an. Dies in einer Bananenrepublik wie Belize zu tun, in der Gerechtigkeit gleichbedeutend mit einer dreckigen Gefängniszelle ist, aus der man kaum jemals wieder lebend herauskommt, erfordert einen Mumm, den bestimmt nicht jeder von uns hätte. Dass John in dieser Situation mehrfach zu Protokoll gibt, nicht ans Weglaufen zu denken, sondern hierbleiben zu wollen und stattdessen eine Entschuldigung der Regierung zu fordern, ist ein Akt, der auf dieser Welt – insbesondere von einem Prominenten mit vielfachen Wahlmöglichkeiten – etwas einzigartiges darstellt.
  • Auf seinem Blog ruft er die Leser mittlerweile zum wiederholten Mal dazu auf, Protestbriefe an die Tourismus-Behörde des Landes zu schreiben (Der Tourismus macht 70% der Staatseinnahmen in Belize aus), um für die Freilassung seiner Mitarbeiter zu plädieren, die sich nach Johns Aussage nichts zu Schulden haben kommen lassen, außer, dass sie für ihn gearbeitet haben. Da ich – wie Sie sicher inzwischen gemerkt haben – für John McAfee eine Mischung aus Sympathie, Mitleid und Bewunderung empfinde, halte ich es für meine Pflicht, Ihnen hier die Mail-Adresse der belizeanischen Tourismus-Behörde zu geben: info@tourism.gov.bz. Meinen eigenen Brief habe ich gestern schon abgeschickt.

Sollte sich jemals herausstellen, dass die ganze Story auch wieder nur einer von Johns legendären Pranks war, dann soll ihn auf der Stelle der Schlag treffen. Aber bis dahin halte ich ihm die Stange.

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