Einmal Goblin-Universum und zurück. Hoffentlich.

Spurlos Verschwundene, unerklärliche Flugzeugabstürze, intelligente Lichtphänomene, seltsame Großkatzen, Men in Black und Bigfoots – überall auf dem Globus begegnen Menschen einer Welt, die nicht nur den bekannten Gesetzen der Physik, sondern unserem gesamten modernen Weltbild trotzt. Dank dem Internet wächst auch die internationale Forschergemeinde zusammen, die die Berichte von Begegnungen mit der Anderswelt auswertet und zu deuten versucht.
Daniel Loose hat sich für uns ins Goblin-Universum begeben und stellt mit Paul Sinclair und Timothy Renner zwei Autoren vor, die die High-Strangeness-Phänomene ihres heimatlichen Umfelds erkundet und dokumentiert haben.

Sollten Sie mich gelegentlich in einem mentalen Kaninchenbau verschwinden sehen, werden Sie wissen, wo ich mich befinde: auf einer unfreiwilligen Reise ins Goblin-Universum.

John Napier

Sich auf die Anderswelt einzulassen ist etwa so, als würde man mit verbundenen Augen vierdimensionales Schach spielen – auf einem sich fortwährend verändernden fraktalen Schachbrett, gegen einen Gegner, der über 16 Damen und ein abweichendes Regelwerk verfügt.

Timothy Renner

Es war im Herbst 1973, als sich ein ehemaliger Air-Force-Pilot, ein Fotograf, ein Physiklehrer und einige weitere Mitglieder einer privaten Ufo-Forschungsgruppe tief in der Nacht auf den Weg machten, um sich zu einer in Fayette County (US-Bundesstaat Pennsylvania) gelegenen Farm zu begeben. Bewaffnet mit Taschenlampen, Walkie-Talkies und zwei Tonbandrekordern trafen sie dort auf einen sichtlich verstörten, stämmigen jungen Bauern namens Steve. Der gab nicht nur an, zwei Stunden zuvor sei auf seinem Grundstück ein gigantisches unbekanntes Flugobjekt gelandet, sondern wollte zudem zwei zweieinhalb Meter große, vollständig behaarte Humanoide beobachtet haben: zwei Exemplare jenes mysteriösen Bigfoot, der in ähnlicher Gestalt in praktisch allen Teilen der Welt gesichtet wird.

Steve hatte den Forschern eine erstaunliche Geschichte zu erzählen: In dem Moment, als er die Kreaturen mit Leuchtmunition vertreiben wollte, stieß eine der Gestalten einen kurzen Schrei aus und riss einen Arm in die Höhe – so, als wolle sie das Geschoss abfangen. Im selben Augenblick verschwand das in unmittelbarer Nähe stehende Flugobjekt vor seinen Augen – einfach so, ohne die geringste Bewegung vollführt zu haben. Zurück blieb ein seltsames, kreisrundes Leuchten, das den Boden überzog und sich bis auf 50 Meter Durchmesser ausweitete. Beim nächsten Schuss, diesmal mit echter Munition, traf Steve den Bigfoot, der davon jedoch unbeeindruckt schien und ihn nur grimmig aus seinen grünen Augen anfunkelte.

Der eiligst herbeigerufene Bundespolizist konnte noch das Bodenleuchten bezeugen, bevor er beschloss, Steve in Sicherheit zu bringen und zur Befragung mit auf die Wache zu nehmen. Im Begriff, die Farm zu verlassen, hätten die beiden aus dem Dunkel der Nacht in unmittelbarer Nähe Schritte gehört, die sich synchron zu den ihren zu bewegen schienen – jedes Mal innehaltend, wenn auch sie stoppten. Als sie die Kreatur im Schein ihrer Taschenlampen in nur drei Metern Entfernung erblickten, habe Steve erneut einen Schuss auf sie abgefeuert, woraufhin diese immerhin zu schwanken begann und zu beschließen schien, dass es nun genug sei: Sie sei auf die beiden zugerast – und in den drei Meter hohen Drahtzaun gekracht, der die beiden Parteien voneinander trennte. So schnell sie ihre Beine und der Streifenwagen trugen, hätten sich Steve und der Polizist vom Acker gemacht.

Doch all das sollte nur der Auftakt zu einem noch viel seltsameren Geschehen sein. Nachdem der Polizist die erwähnte Forschergruppe verständigt hatte, begann diese gegen Mitternacht, das Gelände zu inspizieren. Steve stand dabei als Kronzeuge hinsichtlich des Vorgefallenen bereitwillig Rede und Antwort – zumindest eine Zeit lang, bis er mit einem Mal nicht mehr auf die Fragen reagierte. Er begann sich das Gesicht zu reiben und war offenkundig „in Schwierigkeiten“, wie es im später verfassten Bericht hieß. Er atmete schwer und gab ein lautes Knurren von sich, das „mehr nach dem eines Tieres klang“. Seinen Vater und einen der Forscher, die ihn stützen wollten, stieß er zu Boden, und begann seinem Hund hinterherzujagen, der gegen ihn anbellte.

„Wir alle beobachteten, wie der stattliche Mann herumlief, mit den Armen ruderte und fortwährend furchterregende, knurrende Laute von sich gab – bis ihm plötzlich ein ungeheuer lauter, nicht menschlich anmutender Schrei entwich.“

Was immer von Steve Besitz ergriffen hatte, ließ noch nicht von ihm ab, und er fuhr fort, fürchterlich zu heulen. Als schließlich noch andere Beteiligte Atembeschwerden bekamen und die Luft von einem Gestank nach „Schwefel oder verdorbenen Eiern“ erfüllt wurde, hielten es die Anwesenden für höchste Zeit, das Feld zu verlassen. Leichter gesagt als getan, kroch doch Steve inzwischen ächzend auf dem Boden herum. „Es war keine leichte Aufgabe, den hochgewachsenen Mann wieder auf die Füße zu befördern.“ Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, berichtete Steve nach seiner Genesung, ihm sei inmitten des Geschehens eine männliche Gestalt erschienen, mit schwarzer Kutte, schwarzem Hut und einer Sichel (!) in der Hand. Sie habe ihm vermittelt, dass die Welt niederbrennen werde, wenn sich die Menschen nicht besserten. Sein Vater staunte nicht schlecht, hatte er doch Steve, der beileibe kein religiöser Mensch war, noch nie so reden hören.

Zu Steves Leidwesen war die Angelegenheit damit noch lange nicht erledigt. Er begann Ereignisse vorherzusehen, etwa einen Flugzeugabsturz, der sich kurz darauf tatsächlich in der antizipierten Weise zutrug. Zu denken geben sollte zudem, was erst Jahre später ans Licht kam, als die Ufo-Forscher bei Steve vorsichtig wegen einer hypnotischen Rückführung anfragten. Steve fragte sie entgeistert, warum sie ihn dennschon wiederhypnotisieren wollten. Wie sich herausstellte, waren bereits zwei Wochen nach dem Vorfall zwei Herren bei Steve erschienen, die dieser für Mitglieder der Forschergruppe gehalten hatte. Sie befragten Steve nach den Einzelheiten des Vorfalls, versicherten ihm, dass er nicht verrückt sei, und zeigten ihm Fotos von Bigfoots aus allen Teilen der USA. Auf einem davon habe man gesehen, wie sich ein riesiges, behaartes Wesen über einen Zaun schwang – während es ein Schwein unter dem Arm trug. Nachdem die Besucher Steve mit dessen Einverständnis hypnotisiert hatten, verabschiedeten sie sich und versprachen, sich wieder zu melden (was sie jedoch nie taten).

Aufbruchstimmung in der paranormalen Szene

Internet und Bibliotheken quellen von wilden Erzählungen dieser Art über. In aller Regel sind sie für jemanden, der nicht nur auf Unterhaltung aus ist, sondern die wahre Natur unserer Realität ergründen möchte, wertlos. Ihre Ursprünge liegen üblicherweise im Dunkeln, wenn sie sich nicht gar unmittelbar als Fantasieprodukte identifizieren lassen. Der Grund, warum wir im Falle der vorstehenden Geschichte – die jedem B-Movie prächtig zu Gesicht stehen würde – davon ausgehen dürfen, dass sie sich tatsächlich exakt so zugetragen hat, heißt Stan Gordon. Er war es, der im Jahr 1970 jene Ufo-Studiengruppe gegründet hatte, die nun – nach Jahren der Recherchen zu ungewöhnlichen Vorfällen in ihrem Umfeld – auch die Geschehnisse von Fayette County dokumentierte. Sie waren Bestandteil einer mysteriösen Welle von Ufo- und Bigfoot-Sichtungen, von der Pennsylvania im Jahr 1973 heimgesucht wurde und die Gordon, der zeitweilig als MUFON-Direktor des Bundesstaats tätig war, in seinem Buch „Silent Invasion“ minutiös nachzeichnete.1

Vermutlich ohne es zu beabsichtigen, hatten Pioniere wie Gordon begonnen, eine eklatante Erkenntnislücke zu schließen, auf deren Existenz ein gewisser Charles Fort ein halbes Jahrhundert zuvor mit beißendem Spott aufmerksam gemacht hatte – nicht ohne seine Kritik durch Tausende, meist naturwissenschaftlichen Magazinen oder Zeitungsmeldungen entnommene Berichte zu untermauern, die seltsame, fantastisch anmutende Begebenheiten aus allen Teilen der Welt zum Gegenstand hatten. Fort betrachtete, wie die Autoren Pauwels und Bergier 1960 in ihrer bahnbrechenden Schrift „Aufbruch ins Dritte Jahrtausend“ notierten, „die Wissenschaft als sehr eleganten, komfortablen Wagen, der eine Autobahn entlangfährt. Aber zu beiden Seiten dieser prachtvollen, von Neonlicht erhellten Asphaltstraße erstreckt sich eine wilde Landschaft voller Wunder und Geheimnisse. Stop! Erforscht das Land auch in der Breite! Biegt vom Weg ab! Fahrt kreuz und quer!“ Mit „kräftigen humoristischen Axtschlägen“ habe Fort „das Dickicht der Vorurteile [gelichtet], um seinen Mitmenschen einen Weg zum Verständnis aufzutun“. Tatsächlich scheint das besagte Jahrtausend, das mittlerweile Einzug gehalten hat, im Zeichen der Entschleierung (griech.: apokalypsis) jener verborgenen Wirklichkeitsebenen zu stehen, für die der Bigfootforscher John Napier – ein Zeitgenosse Gordons – den Begriff Goblin-Universum prägte.2

Ein Jahrhundert nach Charles Fort herrscht in der paranormalen Szene Aufbruchstimmung. Aufbauend auf der Vorarbeit von Pionieren wie Stan Gordon, Jacques Vallée oder John Keel und befördert durch den jüngsten Technikboom, der die unabhängige Recherche und Vernetzung über das Internet ermöglichte und die Publikation und Bewerbung eigener Videoproduktionen, Artikel oder Bücher zum Kinderspiel werden ließ, wenden sich private Rechercheure verschiedensten Teilaspekten des sogenannten Paranormalen zu und tauschen sich in Pod­casts und auf Konferenzen über ihre Erkenntnisse aus. Der letztgenannte Punkt ist entscheidend, erfordert doch der untersuchte Gegenstand – das Goblin-Universum mit all seinen Facetten –, die Puzzleteile zusammenzufügen, Muster und Querverbindungen zu erkennen und sich so einem besseren Verständnis seiner Natur zu nähern.

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