Hightech - Alchemie

alchemiePrivatunternehmen und das Militär statten heute Menschen mit transformativen Technologien aus; Augmentation lautet das Zauberwort der modernen Alchemisten. Ist die Zeit der biologischen Souveränität des Individuums abgelaufen?

Sind Menschen der souveräne, unabhängige Endpunkt einer Entwicklung oder nur ein Schritt auf dem evolutionären Weg zu einer anderen Spezies? Sollte Letzteres zutreffen, dann wird diese „neue Spezies“ wahrscheinlich eine sein, die von Menschen durch digitale und biologische Augmentation geschaffen wird.

Transhumanisten betrachten die menschliche Rasse als fehlerhafte und minderwertige Art von Tieren, deren einzigartige wissenschaftliche und technische Errungenschaften man dazu nutzen müsse, den Unterschied zwischen Natur und Maschine zu verwischen, um den Menschen schließlich ganz abzuschaffen.1

So wie spirituelle Alchemisten einst mithilfe esoterischer Vorgänge daran arbeiteten, Unvereinbares wie Feuer und Wasser miteinander zu verschmelzen, suchen die Augmentierer der menschlichen Fähigkeiten nach Mitteln und Wegen, Fleisch mit Metall und Gedanken mit digitalen Daten zu verschmelzen. Doch wie in jeder Philosophie, Ideologie oder Sekte gibt es auch bei den Transhumanisten Meinungsverschiedenheiten. Manche von ihnen wollen das menschliche Bewusstsein in eine Art Cloud oder das Internet der Dinge hochladen („Mind uploading“),2 wodurch wir unseren Geist behalten und unseren Körper ablegen könnten. Andere prognostizieren, dass die Spezies Mensch einschließlich ihres Bewusstseins völlig aussterben und durch Roboter ersetzt werden wird („Posthumanismus“).3 Es soll an dieser Stelle gar nicht darum gehen, wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich solche Szenarien sind. Tatsache ist, dass mächtige Menschen wie der vielfache Multimilliardär Elon Musk an diese Ideen glauben und sie in die Tat umsetzen wollen.4

Man könnte die Augmentation als aktuelle Version eines uralten Vorhabens betrachten, das von der Erfindung des Rades bis zu den Blindenstöcken von Sehbehinderten reicht.5 Das Interesse an der künstlichen Verbesserung des Menschen geht über Prothesen und andere Hilfstechnologien weit hinaus. Es umfasst auch Optimierungen für Menschen ohne Behinderung – wie die vorgeschlagenen Gehirnimplantate, die es ermöglichen sollen, rein mit den Gedanken durch das Internet zu surfen. Das Ziel, wie es ein Insider aus dem Silicon Valley bereits 2015 formulierte, besteht darin, „den Geist von den Beschränkungen selbst gesunder Körper“ zu befreien“ (Hervorhebung im Original).6

Abgesehen von philosophischen Standpunkten ist man sich in der Praxis einig, dass die vom Steuerzahler finanzierten Technologien zur Verbesserung des menschlichen Körpers und Gehirns das Potenzial haben, Unternehmen und Investoren jede Menge Geld einzubringen und beispielsweise die Fähigkeiten von Soldaten zu erweitern. Schon vor beinahe zwei Jahrzehnten kündigte die amerikanische Behörde für Forschungsprojekte des Verteidigungsministeriums DARPA öffentlich an, Gelder in die „Verbesserung“ der Leistung von Soldaten investieren zu wollen. Die DARPA-Forscher wurden mit den Worten zitiert: „Die menschlichen Fähigkeiten bieten sich geradezu für eine Augmentation an.“ 7 Der Markt für die Augmentation des Menschen hat bereits heute einen Gesamtwert von wenigstens 70 Milliarden US-Dollar und wird mit Unterstützung der militärischen Forschung bis 2024 voraussichtlich auf mehr als 200 Milliarden Dollar wachsen.8

Die historischen Wurzeln der Augmentation

Der Mensch unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von fast allen anderen Spezies – unter anderem durch seine starke Abhängigkeit von der Technik. Die hat ihren Ursprung aber auch in der höheren Intelligenz, denn es ist eindeutig evolutionär von Vorteil, wenn man etwa die Bewegungen eines Raubtiers vorhersehen und entsprechende Jagdwerkzeuge entwickeln kann.9

  • Anfangs waren es nur Messer und Feuerstellen, die uns anderen Arten überlegen machten. Da wir nicht über große Krallen verfügen, konstruierten wir Werkzeuge, um Fleisch zu schneiden. Und weil unsere Zähne relativ klein sind, machten wir Feuer, um bestimmte Nahrungsmittel zu kochen und sie so auch leichter verdauen zu können.
  • Vor etwa 2,4 Millionen Jahren stellten Hominiden (Vormenschen) Schlagsteine und Klingen aus Stein her.10
  • Vor 1,7 Millionen Jahren fertigten archaische Homo sapiens Faustkeile und Schneidewerkzeuge.11
  • Die größte Veränderung trat jedoch mit dem Auftreten des modernen Menschen vor 200.000 Jahren ein: Unsere Vorfahren stellten aus Steinabschlag komplexe Speer- und Pfeilspitzen her. Letztere wurden archäologischen Gutachten zufolge erst vor 64.000 Jahren gefertigt.12 Im Vergleich zu Großkatzen ist der Mensch langsam. Pfeile und Speere ermöglichten es unseren Urahnen, aus relativ sicherer Entfernung Beute zu erlegen.
  • Vor etwa 23.000 Jahren wurden die Menschen langsam sesshaft und betrieben Ackerbau.13
  • Und vor ungefähr 4.000 Jahren, etwa gleichzeitig mit der Entstehung von Reichen wie dem ägyptischen oder babylonischen, verbesserten die Bauern ihre körperlichen Fähigkeiten mit Pflügen aus Holz und Metall; zudem verwendeten sie mit Rädern ausgestattete Karren, die von Tieren gezogen wurden.14

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