Nur keinen Aufstand! PsyOps, das Internet und die Jagd auf Ihr Gehirn (Teil 1)

Broadbery 101 Aufstand TeaserWer in der Historie von Datenkraken wie Google oder Facebook buddelt, muss sich zwicken: Nicht nur die Anstoßfinanzierungen kommen von Geheimdiensten und Militär, auch die Ideen sind geklaut. So gab es etwa das DARPA-Projekt LifeLog, ein permanentes durchsuchbares elektronisches Tagebuch für jedermann, das just in dem Jahr eingestellt wurde, als Facebook auf den Markt kam. Auch andere Big-Data-Projekte wie das IAO oder MDDS verschwanden seltsamerweise parallel zum Wachstum des Silicon Valley.

Hinter all dem steckt ein Puzzle aus PsyOps und Sozialingenieurskunst – Dustin Broadbery versucht, die Teile in diesem Zweiteiler zusammenzusetzen.

Das Projekt wurde schließlich an die Defense Communications Agency (auch Defense Information Systems Agency) übertragen und in die zahlreichen neuen Netzwerke integriert, die mittlerweile neu entstanden waren. 1983 wurde das ARPANET in zwei Komponenten aufgeteilt: das MILNET für die Nutzung durch Militär und Verteidigungsbehörden sowie die zivile Version, die den Namen ARPANET beibehielt.

Sieben Jahre später dann wurde ARPANET offiziell stillgelegt und das Internet privatisiert; nunmehr war ein Unternehmenskonsortium dafür verantwortlich, dem Firmen wie IBM und MCI Inc. angehörten. Später gründete die US-Regierung etwa ein Dutzend Netzwerkbetreiber und gliederte diese in den privaten Sektor aus. Die daraus entstandenen Unternehmen – unter ihnen Verizon, Time Warner, AT&T und Comcast – bilden das Rückgrat des heutigen Internets. Es sind dieselben sechs Konzerne, denen nicht nur 90 Prozent der amerikanischen Medien gehören,11 sondern die auch den globalen Kommunikationsfluss kontrollieren. Erreicht wurde dies durch die völlige vertikale wie horizontale Angleichung der traditionellen und digitalen Medien12 sowie die Infrastrukturen und Technologien, die ihre Massenkommunikation ermöglichen – wie Kabel-, Satelliten- und Drahtloskommunikation sowie die dazu nötige Hardware und Software.

J. C. R. Licklider

Ein bedeutender Akteur bei der Entwicklung des ARPANET, der von vielen als Vater der Informatik betrachtet wird, war der amerikanische Psychologe J. C. R. Licklider. „Lick“ – so sein Spitzname – war der erste Direktor jener Abteilung, die die Informationstechnologie-Programme der DARPA in die Realität umsetzen sollte. Diese Abteilung – das Information Processing Techniques Office (IPTO) – ist für praktisch jeden wichtigen Fortschritt in der Computerkommunikation seit den 1960er-Jahren verantwortlich.

Wie der ARPANET-Mitarbeiter Stephan J. Lukasik in seinem Aufsatz „Why the Arpanet Was Built“13 darlegt, sah Lick „eine Verbindung zwischen Informationstechnologie und verhaltens- sowie kognitionswissenschaftlichen Fragen“. Lick prognostizierte im Grunde genommen, wie das Internet soziale Prozesse in der realen Welt auslösen würde, die die Art und Weise, wie wir kommunizieren sowie Informationen organisieren und verarbeiten, radikal verändern würde. Es ist kein Zufall, dass ein Psychologe vom Kaliber Licks an vorderster Front einer neuen Technologie stand, die grundlegende Schwächen der menschlichen Psyche ausnutzen sollte.

In den 1960ern betreute Lick das strategische Interesse der DARPA an den neuen Grenzen der Informationstechnologie: die Gehirn-Computer-Schnittstellen (BCI). In einem berühmten Aufsatz,14 der als einer der wichtigsten in der Geschichte der Informatik gilt, vertrat Lick die damals radikale Vorstellung, dass der menschliche Verstand eines Tages nahtlos mit Computern verschmelzen würde.15Damit nahm er die Entwicklung der KI vorweg, ebenso wie die Rolle, die die DARPA im Laufe von sechs Jahrzehnten bei der Finanzierung so gut wie aller bedeutenden Fortschritte in der BCI-Technologie spielen sollte – inklusive Elon Musks Firma Neuralink zur Entwicklung einer vollständig implantierten, drahtlosen Gehirn-Computer-Schnittstelle.16

Der Vietnamkrieg

Das ARPANET brachte die Kriegsmaschinerie des Pentagons mit den Forschungsabteilungen der Universitäten und der Gegenkulturszene der kalifornischen Bay Area zusammen. Dadurch wurde ein Großteil des anekdotischen Idealismus aktiviert, der typisch für die frühen Jahre des Cyberspace – eines angeblich neuen Freiraums für die gesamte Menschheit – war. Für die ersten Anwender war der Cyberspace das gelobte Land der freien Information und universellen Konnektivität. Die Möglichkeiten schienen schier endlos.

Doch Kriegstreiber und Geheimdienstanalysten hatten andere Vorstellungen. Aus dem Vietnamkrieg hatten sie die Lehre gezogen, dass die Zukunft der amerikanischen Kriegsführung nicht in Auseinandersetzungen mit Nationalstaaten, sondern mit Ideologien oder vielmehr Basisbewegungen wie den Vietcong liegen würde. Solche Bewegungen waren in der Lage, innere Unruhen hervorzurufen, die zu Aufständen und im schlimmsten Fall Revolutionen führen konnten. Man musste daher alternative Ansätze finden, um diese neue Bedrohung der freien Welt zu infiltrieren und zu stören.

VietnamEra

Während in Südostasien der Krieg tobte, kam ein weiterer promovierter Psychologe namens Robert Taylor als dritter Direktor der DARPA zu dieser Behörde. Taylor wurde 1967 nach Vietnam versetzt, um dort das erste Computerzentrum auf der Basis des Militärischen Unterstützungskommandos17 in Saigon18 einzurichten. Es sollte zu einer der zentralen Säulen der psychologischen Kriegsführung des US-Verteidigungsministeriums werden. Dieser Schritt war ein Zeichen dafür, dass ab nun in militärischen Auseinandersetzungen neue Regeln galten. DARPA und die neue Technologie spielten wichtige Rollen in den Kriegsanstrengungen, sowohl in Südostasien als auch auf amerikanischem Boden, wo es die wachsende Antikriegsbewegung zu bekämpfen galt.

1968 publizierten Taylor und Lick ihren bahnbrechenden Aufsatz „The Computer as a Communication Device“, in dem sie skizzierten, wohin sich das Internet in Zukunft entwickeln würde. Der Text begann mit der visionären Aussage:

„In ein paar Jahren werden die Menschen in der Lage sein, durch eine Maschine effektiver miteinander zu kommunizieren als von Angesicht zu Angesicht.“19

Dadurch nahmen sie den kometenhaften Aufstieg der sozialen Medien, insbesondere von Facebook, schon Jahrzehnte zuvor vorweg.

Die PsyOp kehrt nach Hause zurück

Die Entstehung von Facebook fällt mit einem umstrittenen Militärprogramm zusammen, das geheimnisvollerweise genau im selben Jahr eingestellt wurde, als Facebook auf den Markt kam.20

Das fragliche Programm nannte sich LifeLog und wurde vom IPTO21 der DARPA entwickelt. Es hatte das erklärte Ziel, ein dauerhaftes und durchsuchbares elektronisches Tagebuch des gesamten Lebens eines Individuums zu erstellen – einen Datensatz mit seinen privatesten Informationen, der jede seiner Bewegungen, jedes Gespräch, alle Kontakte sowie alles, was die betreffende Person je gehört, gesehen, gelesen oder gekauft hatte, umfassen sollte.22

Doch würden die Menschen wirklich bereit sein, eine solche Aufzeichnung ihres Privatlebens an eine Plattform des Militärgeheimdiensts weiterzugeben?

Wahrscheinlich nicht. Doch plötzlich war Facebook da.

LifeLog wurde offiziell zwar eingestellt, aber dies war weder das erste noch das letzte Mal, dass ein Projekt dieser Größenordnung vorgeschlagen wurde.

In einem Artikel, den er 1945 für die Zeitschrift The Atlantic verfasste, erörterte Vannevar Bush – der, wie erwähnt, im Zweiten Weltkrieg die psychologischen Operationen der US Army leitete – sein hypothetisches Projekt Memex, ein Gerät, „in dem eine Person alle ihre Bücher, Aufzeichnungen und anderen Informationen speichert, und das mechanisiert ist, sodass man mit überragender Geschwindigkeit und Flexibilität in ihm nachschlagen kann“.

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