Pilzmedizin: 5.000 Jahre Do-it-yourself

heilpilze2Eine Spezies tritt aus dem Schatten: Endlich kommt im Westen an, was im Osten und bei unseren Urahnen zur tradierten Weisheit gehörte. Pilze sind nicht nur optimale Nahrungsmittel, sie haben auch erstaunliches Heilpotenzial. Und das kann man in den eigenen vier Wänden für sich nutzbar machen.

Eine eigenartige Entdeckung

Im September 1991 entdecken Touristen in den Südtiroler Alpen eine Leiche, die vornübergebeugt auf einer Steinplatte halb im Gletscher­eis steckt. Tage später gelingt die Bergung der Mumie und weiterer Fundstücke sowie der Transfer in die Gerichtsmedizin. Dort weist ein Archäologe auf die prähistorische Herkunft des „Mannes aus dem Eis“ hin, der seither als Ötzi bekannt ist. Sein Alter: geschätzte 5.300 Jahre. Aufgrund glücklicher Umstände sind sowohl Leichnam als auch Kleidung und Ausrüstung sehr gut erhalten, und die Forensik rekapituliert: Er muss sich sicher gefühlt haben an diesem entlegenen Ort, doch Tage zuvor muss es Handgreiflichkeiten im Tal gegeben haben. Stunden nach der letzten Mahlzeit jedenfalls hatte ihn ein Pfeil erwischt, hinterrücks. Die nüchternen Daten: gestorben mit 46 Jahren, Körpergröße 1,60 Meter, Schuhgröße 38, Gewicht 50 Kilogramm, Blutgruppe 0. Das biologische Gesundheitsprofil: Laktoseintoleranz, Karies, Arthrose/Arthritis, Arteriosklerose, Borreliose, Wurminfektion, Magenkeim – gestresst.1

Die Ötzi-Story ist eine Geschichte vom Suchen und Finden. Bereits im Herbst 1991 erwähnen Archäologen, dass zwei am Körper Ötzis gefundene Objekte in Walnussgröße, separat aufgefädelt am Ziegenlederriemen, Pilze sein könnten. Man gibt sich mit der nächstliegenden Vermutung zufrieden: irgendein Zunder zum Feuermachen. Ein drittes Objekt spüren Röntgenstrahlen auf, die die aufwendig gefertigte lederne „Gürteltasche“ durchdringen: Außer Feuersteinwerkzeugen fällt eine mysteriöse „schwarze Materie“ auf, mit der die Tasche fast gänzlich gefüllt ist. Eine Art „Harzkitt“ für prähistorische Reparaturen?

Im Winter 1991 treffen die ersten beiden Objekte im Originalzustand in Innsbruck ein und werden von dortigen Mikrobiologen zunächst gewässert. Überraschung: Die Lederstreifen sondern einen tierischen Gestank ab. Jäger kennen den Geruch. Unter dem Mikroskop entdecken sie aber noch etwas anderes: skelettierte Hyphen. Analysen zeigen Monate später, dass die beiden Fruchtkörperfragmente eindeutig Birkenporlinge(Fomitopsis betulina)sind. Eine Spezies, die sich keineswegs besonders gut zum Feuermachen eignet. Wozu dann? Medizinisch-spiritueller Proviant? Wahrscheinlich ja.

Auf der Suche nach Ötzis Feuerzeug nimmt man sich erneut die ominöse „schwarze Materie“ vor. 1993 ergibt die mykologische Prüfung eindeutig, dass es sich um Zunderschwamm(Fomes fomentarius)handelt. Es ist ein Pilz, dessen Fruchtkörper seit mehr als 11.000 Jahren von Menschen genutzt wird: bevorzugt zum Feuermachen oder Messerschleifen, für Mützen und Kleidung – aber auch für spirituelle und medizinische Zwecke. Der Mann aus dem Eis hatte seine wertvollen Pilzpreziosen offenbar griffbereit.

Beide Spezies haben ethnomedizinische Bedeutung. Die Birke galt in Europa traditionell als „Baum des Lebens und der Fruchtbarkeit“, in Sibirien als „Schamanenbaum“. Und der zugehörige Birkenporling hat bemerkenswerte Heileigenschaften vorzuweisen: anti­bakteriell, -viral, -parasitär, -entzündlich, tumorhemmend, nervenschützend und immunmodulierend. Auch für den Zunderschwamm sind medizinische und spirituelle Anwendungen überliefert: Seit Hippokrates und bis ins 19. Jahrhundert war er ein bekanntes Mittel zur Blutstillung („Chirurgenpilz“); hinzu kommen Krebs, Blasenleiden, Hämorrhoiden, Nerventonikum, aber auch Dämonenabwehr.2

Angesichts der Anamnese des Steinzeitjägers, der an schmerzhaften Krankheiten und Infektionen litt, kann man sagen: Der Mann wusste sich zu helfen.

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