Herr Matuschek, Sie haben mit Pareto ein Projekt aus der Taufe gehoben, das zensurfreies, dezentrales Bloggen ermöglichen soll. Was hat Sie persönlich bewogen, die Initiative zu ergreifen?
Ich war lange im Mainstream als Journalist unterwegs, dann kam Corona und ich flog aus der Kurve. Vielen ging es ähnlich, es bildete sich eine kritische Szene mit Blogs, YouTube-Kanälen oder Substack-Newslettern. Alles schön und gut – und doch kam irgendwann die Erkenntnis: Echte Publikationsfreiheit gibt es nicht auf Plattformen, sondern nur in Eigenregie. Es geht nicht nur um Freedom of Speech – also Redefreiheit –, sondern auch um „Freedom of Reach“, die Reichweite. Wer zu groß wird, kann immer stummgeschaltet werden. Mit Pareto.space wollten wir eine Lösung bauen, die sämtliche Kontrolle zurück in die Hände des Einzelnen gibt, unabhängig von einer Plattform. Wir sind daher auch keine Plattform, sondern eher so etwas wie eine Brücke in ein Ökosystem, die jeder nutzen kann. Es kann nur einen freien Debattenraum geben, wenn dieser jedem offensteht. Bei uns steht kein Gatekeeper mehr zwischen Autor und Leser, auch nicht in der Bezahlung via Bitcoin.
Wie kann man sich „zensurfrei“ und „dezentral“ vorstellen – was sind die technischen Hintergründe von Pareto?
Wir bauen auf dem Kommunikationsprotokoll von Nostr.com auf, einem dezentralen Netzwerk aus verschiedenen Knotenpunkten, die Informationen abrufen und verteilen und dadurch Redundanz im System schaffen. Wie bei Bitcoin ist der Zutritt zu Nostr jedem möglich: Man legt einfach ein Konto an, das aus einem privaten und einem öffentlichen Schlüssel besteht – ganz ohne Mail, Telefon etc. Im Kern geht es darum, keinen zentralen Angriffspunkt mehr zu bieten, wenn es um die Speicherung von Inhalten im Netz geht. Das ermöglicht Nostr. Wir sind eine Zugangsanwendung zum Netzwerk für langformatige Texte und Newsletterversand. Man könnte sagen: Wir sind quasi so etwas wie der unzensierbare Zwilling von Substack auf Nostr. Die Zeit von Plattformen ist vorbei, ab jetzt ist totale Selbstverantwortung in den Händen jedes Autors möglich. Wir ermöglichen diesen Weg.
Warum sollten sich andere Menschen für Ihr Projekt interessieren? Was unterscheidet es von anderen Plattformen wie Substack, Wordpress-Blogs oder selbst gehosteten Websites?
Ich mag Substack durchaus, die Plattform hat mir ja auch Freiheitsgewinn verschafft. Substack beteuert auch, niemanden zensieren zu wollen. Aber sagten das Facebook und Twitter nicht auch einmal? Warum sollte man vertrauen, wenn man Kontrolle selbst ausüben kann? Substack sammelt zudem Daten, betreibt Tracking, bespielt Large Language Models mit meinen Inhalten. Das kann ich nicht einmal verhindern. Blogs und Websites sind Mini-Inseln, die leicht angreifbar sind. Bei Nostr sind die Inhalte kryptografisch gesichert und verteilt, man ist nicht von einer Plattform abhängig und hat sofort Zugang zu einem Ökosystem von Hunderttausenden Lesern, die oft auch über ein Bitcoin-Lightning-Konto verfügen und Mikrospenden leisten können. Wer volle Selbstverantwortung sucht, findet hier seinen Raum. Sonst baut man sein Haus immer auf dem Grundstück eines anderen – und wenn es einem weggenommen wird, fängt man von vorn an. Das ist eine Form von Wahnsinn aus Nichtwissen.
Welche kritischen Journalisten und Blogger konnten Sie bereits für das Projekt gewinnen?
Noch sind wir in der Testphase, aber inzwischen sind gut 45 Journalisten oder Publikationen aus der kritischen Szene bei Pareto, darunter Tom-Oliver Regenauer, Michael Meyen, Radio Berliner Morgenröte, Radio München und einige mehr. Meine Publikation „Freischwebende Intelligenz“ erscheint dort auf Englisch. Wir bekommen auch immer mehr Anfragen von Substack-Autoren. Ideal ist unsere Lösung natürlich für Dissidenten, egal ob aus Russland, China, Taiwan, Iran etc. Wir bieten generell allen kritischen Autoren an, ihnen einen zensursicheren Zweitkanal auf Nostr/Pareto einzurichten, quasi als Back-up. Ganz neu haben wir die erste Publikation auf Nostr gestartet: Die „Friedenstaube“, die erste unzensierbare Stimme für den Frieden mit zahlreichen kritischen Autoren wie Ulrike Guérot, Mathias Bröckers, Daniele Ganser und vielen mehr. Wir bewerben unsere Lösung also nicht nur und bieten sie anderen an, sondern gehen auch aktiv voraus und nutzen sie selbst.
Pareto steckt noch in den Kinderschuhen. Welche Probleme gibt es noch zu überwinden? Was sind die größten Herausforderungen?
Auch Nostr steckt noch in den Kinderschuhen, macht aber gewaltige Fortschritte. Für viele ist der Login via eines kryptografischen Schlüssels am Anfang noch gewöhnungsbedürftig. Ansonsten braucht es etwas bei der Einrichtung von Knotenpunkten (Relays), um alle Inhalte auf allen Apps sichtbar zu machen. Es braucht eine gewisse Anpassungsleistung, wenn man gänzlich eigenständig agieren und sich nicht auf Plattformen verlassen will. Aber das ist letztlich immer eine Sache der Gewöhnung und kann sich schnelländern, wenn der Wind der Zensur bald wieder etwas eisiger weht.
Was gibt Ihnen Kraft, das Projekt trotz Rückschlägen voranzutreiben?
Letztlich vor allem das Team um Pareto herum. Ich habe das Glück, dass sich Menschen mit dem richtigen Mindset gefunden haben, die bei der Entwicklung von Pareto zudem Siebenmeilenstiefel angezogen haben. Eine gute Idee, die von vielen getragen wird, überlebt durch die Aktivität der Einzelnen viele Stürme. Mich motiviert einerseits, dass wir die Zensur, eine Geißel der Menschheit, auf die Müllhalde der Geschichte verfrachten können, und andererseits, dass wir gar keine andere Wahl haben, als technologisch aufzurüsten: EU und Nationalstaaten machen ja nichts anderes mit der Verschärfung von Zensurgesetzen. Bei den großen Fragen von Krieg und Frieden wird das Tauziehen in die nächste Runde gehen …
Wie können Menschen, die von Pareto erfahren, Ihre Initiative unterstützen? Was ist nötig, damit Ihr Anliegen noch mehr Gewicht bekommt?
Jeder kann sich unsere Website Pareto.space anschauen, dort den Client aufrufen, die Texte lesen, die dort zu finden sind, und gerne auch verbreiten. Wir sind als Verein organisiert und freuen uns über Spenden, auch via Bitcoin Lightning auf Geyser (t1p.de/ai2yg). Das Gewicht des Anliegens ergibt sich aus der Natur der Sache: Die beste Möglichkeit, Zensur zu bekämpfen, liegt darin, zensursicher zu publizieren. Insofern ist das Beste, wenn viele kritische Autoren unsere Lösung nutzen. Das ist auch ein Akt der Selbstermächtigung und Unabhängigkeit.
Kann man Pareto schon aktiv nutzen? Wenn man beispielsweise Artikel lesen und dafür via Bitcoin Lightning spenden will – geht das schon?
Ja, all das geht schon. Auch jeder Autor, der publizieren will, kann das tun, sollte uns nur vorab via team@pareto.space kontaktieren, damit wir ihn freischalten können. Noch sind wir im Testbetrieb. In Kürze wird der Client jedem zur Verfügung stehen.
Was sind die nächsten Ziele für das Projekt?
Derzeit konzentrieren wir uns auf die Friedenstaube, ein Projekt mit vielen Autoren in Form einer Genossenschaft, an dem wir auch erstmals unseren Newsletterversand testen. Damit sind wir eigentlich für die nächsten Wochen gut ausgelastet, zumal wir mit dem Projekt quasi „on the go“ starten, und das auf einer gänzlich neuen technologischen Infrastruktur. Ansonsten wollen wir das Migrieren von Artikeln vereinfachen, wir experimentieren mit RSS und arbeiten an einer Weiterführung des Clients in Form einer Whitelabel-Lösung für Publikationen, die mit mehreren Autoren einen Redaktionsbetrieb organisieren wollen. Mittelfristig wollen wir stärker in Richtung eines Ökosystems wachsen, wo Kooperation und Kollaboration zwischen Autoren, Lesern, Rechercheuren und anderen Akteuren intensiviert und die gemeinsame Arbeit an der Wahrheitsfindung entlohnt wird.
Was können Autoren und Leser in Zukunft erwarten? Was geschieht im besten Fall?
Der beste Fall für uns wäre der Worst Case für die Welt – und das wäre flächendeckende Zensur, die sich niemand wünschen will. Im besten Fall wird Pareto mit zahlreichen Publikationen und Autoren sowie einem Prozess, der die Wahrheitsfindung transparent abbildet und kooperativ organisiert, eine Art Standard für die beste und nachhaltigste Information. Das Neue liegt in der Luft, wer will in den Zeitungen von heute die Versäumnisse und Verblendung der letzten fünf Jahre nachlesen? Die ganze Medienbranche steht vor erdrutschartigen Umbrüchen, das Vertrauen in den Mainstream ist ziemlich pulverisiert … und das wird sich fortsetzen.
Wo sehen Sie die Menschheit in 50 Jahren? Haben Sie Hoffnung?
Ich glaube, wir bewegen uns auf eine Gesellschaftsspaltung zu zwischen einer lobotomisierten Herde und Menschen, die sich aktiv den Weg in die Freiheit graben. Die eine Welt steht für Technokratie, KI und menschliche Nutztierhaltung. Die andere Welt ist die der dezentralen Kräfte, der Kräftevon Trial and Error – letztlich Anarchen, die die Pfeiler der neuen Welt bauen. Jeder wählt sich daher auch ein Stück weit sein eigenes Schicksal. Ich bin generell optimistisch, dass die Spezies Mensch den Zenit ihrer zivilisatorischen Entwicklung noch nicht erreicht hat und gewisse Kräfte darauf immerhin zuarbeiten. Gegenüber der gegenwärtigen Machtkonzentration in vielen Bereichen stehen wir als Menschheit vor der Herausforderung, uns aktiv selbst zu organisieren. Die technologischen Mittel dafür sind da – und wir machen mit Pareto einen Anfang.
Weitere Informationen
Client: Pareto.space/read
Friedenstaube: w3.do/aEF_tlZd
Spenden: t1p.de/ai2yg
Autor werden: team@pareto.space
NEXUS auf Nostr/Pareto
npub: bitte anfragen
Handle: nexus@pareto.town
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