Interview mit einem Ökokrieger

oekDer Engländer Jim Self hat sich vor mehreren Jahren in ein Naturschutzgebiet in Estland zurückgezogen, um dort mit geringsten finanziellen Mitteln ein Ökoprojekt zu verwirklichen. Im Interview spricht er über das, was er bisher erreicht hat, die Fallstricke eines solchen Projekts und seine ansteckende Motivation.

JS: Ich werde nie ein Interview mit George Harrison vergessen, das mir vor etlichen Jahren erstmals die hinduistische und buddhistische Philosophie näherbrachte. George sprach darüber, dass Veränderung etwas Positives ist. Etwas Gutes. Später begriff ich, dass es um Wachstum geht, um Entwicklung. Wie die meisten jungen Erwachsenen bewegte ich mich während meiner späten Teenager- und frühen Twen-Jahre in verschiedenen gesellschaftlichen Kreisen, probierte Musikstile und die eine oder andere Droge aus, arbeitete in diversen Jobs und lebte in verschiedenen Städten – doch noch immer fühlte ich mich eingeengt, wie in einem Käfig. Also sparte ich etwas Geld und machte mich mit einigen Freunden zu einer Rucksacktour nach Südamerika auf. Diese Reise hat mir die Augen geöffnet. Da draußen gab es eine Welt, die die Äußerlichkeiten der konservativen westlichen Kultur, in der ich aufgewachsen war, infrage zu stellen schien. Versteh mich nicht falsch – ich spreche nicht davon, dass das eine besser oder schlechter ist als das andere. Es war einfach anders.

Als mir nach einem Jahr das Geld auszugehen begann, ging ich nach England zurück und sah mich nach einer Arbeit um. In der Lokalzeitung war eine Verkäuferstelle ausgeschrieben, die dem passenden Kandidaten eine Menge Geld in Aussicht stellte. Ich bewarb mich, erzählte im Bewerbungsgespräch irgendeinen Quatsch und verkaufte mit einem Mal Anzeigen für eine Industriezeitschrift – für Öl, Gas, Bergbau und Bauwesen! Ich hatte mir ausgerechnet, dass ich im Idealfall nach einem Jahr Arbeit wieder für längere Zeit verschwinden könnte, um weiter die Welt mit dem Rucksack zu erkunden. Mein Chef fiel aus allen Wolken, als ich die Kündigung einreichte. Ich gab einen sogenannten „guten Job“ auf und eine praktisch sichere Karriere fürs Leben. Ich konnte es kaum abwarten, da rauszukommen und wieder die Welt zu bereisen.

Diesmal trampte ich drei Monate lang durch die Karibik, bevor ich in einem VW-Wohnwagen, Baujahr 1975, Mexiko unsicher machte. Dort schloss ich mich einer mobilen Gruppe von Aussteigern an und trommelte zur Unterhaltung und für den Lebensunterhalt in deren Band. Ihr sogenanntes „Soul Fire Project“ war ein alter amerikanischer Schulbus, den sie so umfunktioniert hatten, dass er mit Pflanzenöl fuhr – gewonnen aus Restaurantabfällen und mit alten Socken gefiltert. Auf dem Dach hatten sie Solarzellen montiert, und eine Dusche mit heißem Wasser gab es auch. Die Komposttoiletten, die wir anlegten, rochen selbst in der Hitze und den heftigen Regenfällen Südmexikos nicht! Hier kam ich zum ersten Mal mit Permakultur sowie mit Menschen in Berührung, die tatsächlich auf alternative Weise lebten – nicht nur als Freizeitvergnügen. Ich denke, man kann dieses Erlebnis als den Ausgangspunkt meines eigenen Wandels betrachten. Der im Übrigen auch heute noch nicht abgeschlossen ist – denn geht es nicht im Leben vor allem darum?

DW: Bei deinem Aufenthalt in Mexiko ist offenbar der Funke übergesprungen. Wann und wie entstand daraus die Idee, ein eigenes Projekt zu verwirklichen? Ich meine, mich zu erinnern, dass der Film „Garbage Warrior“ dabei eine entscheidende Rolle spielte?

JS: „Garbage Warrior“ gab mir das Gefühl, praktisch alles machen zu können. Die Idee, aus natürlichen oder recycelten Materialien ein ganzes Zentrum aufzubauen, hatte ich zu dem Zeitpunkt definitiv noch nicht. Aber die Vorstellung, ein Haus zu bauen, elektrisierte mich. Ich meine, Miete zu zahlen oder eine Hypothek aufzunehmen, bindet unheimlich viel Zeit. Ich sage bewusst „Zeit“, denn in der Regel gehen 40 Prozent unseres Einkommens für Miete und Nebenkosten drauf. Durch den Dokumentarfilm wurde ich mir der Tatsache bewusst, dass ich das umgehen kann. Ich bräuchte 40 Prozent weniger Zeit auf der Arbeit zu verbringen, die ich dann für mich selbst hätte – um die Dinge zu tun, die mir wirklich Freude bereiten. Dazu gehört das Vergnügen daran, Dinge zu bauen und zu reparieren. Verfügt man erst einmal über die nötigen Werkzeuge, ist das nicht sehr kostenintensiv. Es macht großen Spaß, etwas Neues und Aufregendes zu zimmern und dabei beispielsweise Holz aus dem Wald oder rostige Nägel zu verwenden, die man kostenfrei aus Altmaterialien gewonnen hat.

DW: Bei unserer letzten Begegnung hast du die drei Prinzipien „Low cost, low skills, low environmental impact“ – also niedrige Kosten, geringe Anforderungen ans Können und minimale Schädigung der Umwelt – erwähnt. Könntest du die Philosophie dahinter einmal erläutern?

JS: Das ist ganz einfach. Die drei Punkte beziehen sich auf unsere Lebensweise und unsere Grundbedürfnisse. Aus kreativer Sicht interessiert mich persönlich der Bau von Unterkünften am meisten. Ich liebe es, Strukturen zu schaffen, die diesen Prinzipien genügen.

„Low cost“ bedeutet, dass man nicht viel Geld benötigt, um etwas zu bauen. Man ist also nicht auf einen Vollzeitjob angewiesen, um sein Projekt finanzieren zu können. Keine Tilgungsverpflichtungen über 30 Jahre oder Ähnliches.

Als „Low skills“ kann man ein Vorhaben bezeichnen, das man aller Wahrscheinlichkeit nach ohne fremde Hilfe konzipieren und realisieren kann. Wozu jemand anderen bezahlen, wenn man es selbst machen kann und will? (Das Wollen ist übrigens der springende Punkt bei der ganzen Sache.)

Eine geringe Beanspruchung der Umwelt – „Low environmental impact“ – ist ohnehin gegeben, wenn man sich beim Bauen natürlicher Materialien wie Stroh oder Holz bedient oder Altmaterialien wiederverwendet. Letztlich zahlt es sich aus, nach Wegen zu suchen, den Planeten möglichst wenig zu schädigen. So denke ich zumindest. Es geht dabei nicht um Schwarzweißdenken; ich bemühe mich einfach nach Kräften, Beton, giftige Farben, nicht nachhaltige Holzernten und dergleichen zu vermeiden, sofern sich mir alternative Möglichkeiten bieten. Gerade diese Alternativen sind es, die wir beim Projekt Kodu zeigen und interessierten Gästen gerne vorstellen.

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DW: Jim, du bist gebürtiger Brite – was hat dich nach Estland verschlagen? Warum hast du dich unter allen Optionen ausgerechnet für diese Ecke der Welt entschieden?

JS: Nach unserem Mexiko-Abenteuer verbrachten wir ein paar Jahre in den USA und Kanada. Wir merkten aber schließlich, dass wir unseren Lebensmittelpunkt in Europa haben wollten – in relativer Nähe zu unseren Freunden und Familien und in Reichweite der europäischen Länder mit ihren verschiedenen Kulturen.

Maarja stammt aus Estland. Begegnet sind wir uns allerdings an einer Universität in England. Als ich sie nach Estland begleitete, um ihre Eltern kennenzulernen, und in Tallinn ankam, atmete ich buchstäblich frische Luft. Vermutlich ist es der fehlenden Industrie und Umweltverschmutzung sowie den in großer Zahl vorhandenen Bäumen zu verdanken, dass sie dort so sauber ist. Mehr als die Hälfte des Landes ist bewaldet. Echt herrlich.

DW: Wie hast du das Grundstück gefunden, auf dem du heute lebst, und was waren die ersten Schritte? Welche Schwierigkeiten hattest du zu überwinden?

JS: Die in England und Deutschland übliche Vorgehensweise, sich beim Kauf oder Verkauf einer Immobilie eines Maklers zu bedienen, ist in Estland noch nicht sehr verbreitet. Die wenigen ausgeschriebenen Grundstücke werden häufig falsch annonciert. Einmal wurden wir von einer Maklerin mit Gummistiefeln begrüßt und versanken während der Besichtigung fast knietief im Schlamm. Die Dame gab sich alle Mühe, uns davon zu überzeugen, dass man das Gelände leicht trockenlegen konnte. Dabei gab es jede Menge trockenes Land in der Nähe. Ein andermal hatten wir uns schon zum Kauf entschlossen, nur um dann auf dem Amt zu erfahren, dass die Stadt eine Eisenbahnstrecke mitten durch das Grundstück legen wollte. Das hatte der Makler offenbar vergessen zu erwähnen.

Jedenfalls machten wir es dann auf die altmodische Art: Wir fuhren mit Fahrrädern durch die Gegend und hängten in Gemeindezentren und an Bushaltestellen Zettel mit unseren Suchkriterien aus. Nachdem wir unser Grundstück gefunden hatten, folgten sechs Monate Verhandlungen. Offenbar hatte ich in meinem Job als Verkäufer etwas gelernt – wir bekamen den Zuschlag für die Hälfte des ursprünglichen Preises. Sowohl Käufer als auch Verkäufer waren zufrieden; ein Mittelsmann, der sich einen eigenen Anteil abzweigen würde, war bei der ganzen Sache völlig überflüssig. Die Sache selbst in die Hand zu nehmen und dabei noch Geld zu sparen, schien uns ein guter Start für das Projekt zu sein.

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