DW: Wer zum ersten Mal von eurem Projekt hört – oder vielleicht sogar selbst etwas in der Art aufziehen möchte –, fragt sich vermutlich, wie ihr all das hinbekommt, was in der „zivilisierten“ Gesellschaft das Ergebnis der Arbeit anderer ist: Lebensmittel, Wasserversorgung, Heizung, Elektrizität etc. Fangen wir vielleicht mit der Letztgenannten an.
JS: An eine Sache gewöhnt zu sein, bedeutet zunächst einfach, die Dinge so zu handhaben, wie man sie schon immer gehandhabt hat. Erinnern wir uns an George Harrisons Gedanken: Wachstum entsteht durch Veränderung. Stellt man sich der Herausforderung, dauerhaft oder zumindest vorübergehend auf moderne Annehmlichkeiten wie Elektrizität oder fließendes Wasser zu verzichten, beginnt man, die vorhandenen Ressourcen sparsam einzusetzen. Stellt sich wieder mehr Komfort ein, wird man diesen zu schätzen wissen – jedoch weiterhin umsichtig haushalten. Wer das Wasser für sein wöchentliches Bad einmal eine Zeit lang mit Eimern vom nächsten Bach herbeischaffen musste, der wird es wertschätzen, wenn er drei Jahre später über fließendes, warmes Wasser verfügt. Außerdem hat mich der Vorgang des Wassertragens gestärkt – sowohl mental als auch körperlich. Natürlich bin ich froh, dass wir jetzt fließendes Wasser haben; aber es hat etwas wunderbar Herausforderndes, in der Anfangszeit komplett selbst für sich sorgen zu müssen.
Aber zurück zu deiner Frage. Elektrizität wollten wir auf jeden Fall auf dem Gelände haben. Unser Verbrauch sollte zwar möglichst gering bleiben, aber ich wollte wenigstens mit Elektrowerkzeugen arbeiten, Telefon und Laptop aufladen können und LED-Beleuchtung installieren. Die nächsten Starkstromleitungen waren nur 800 Meter entfernt, doch der lokale Energieversorger sagte uns, es würde 15.000 Euro kosten, einen Anschluss bis zu unserem Camp zu legen. Das stand außer Frage. Nicht nur war das für unsere Verhältnisse enorm viel Geld; wir hatten auch keine Möglichkeit, uns das Geld zu leihen, und hätten auch die Tilgungsraten nicht aufbringen können. In dieser Situation schauten wir auf Youtube nach Lösungen und wurden tatsächlich fündig. Es gelang uns, aus Solarzellen und Doppelglaselementen, die in der Industrie als Ausschuss abfallen, und etwas Silikonspray unsere eigenen Fotovoltaikelemente herzustellen. Wir verwendeten sogar die kleinen Papierbeutel mit Kieselgel, die in Schuhkartons und anderen verpackten Produkten zu finden sind, damit sie gegebenenfalls Feuchtigkeit aufnehmen. Das klingt schon ziemlich nach Ökokrieger, oder?
Doch es kam noch besser – letztlich konnten wir damit auch noch Geld verdienen, indem wir unser neu gewonnenes Wissen in den umliegenden Gemeinden in Form von Workshops weitergaben. Sogar Schulkinder haben wir unterrichtet. Damit schließt sich ein Kreis. Viele meiner Fertigkeiten habe ich in Workshops erlernt, und nun gebe ich sie über dasselbe Medium weiter.
DW: Das Problem bei Solarenergie ist natürlich, dass man sie für die Zeiten speichern muss, in denen die Sonne nicht scheint. Ich erinnere mich an das riesige Batteriearsenal in eurem Haus. Du hattest erzählt, dass ihr das ziemlich günstig bekommen hattet, oder?
JS: Das war in der Tat in mancher Hinsicht ein Glücksfall, durch den wir viel Geld gespart haben. Um es kurz zu machen, wir standen mit einer in Großbritannien ansässigen NGO in Kontakt, die die Wiederverwertungszyklen von Deep-Cycle-Batterien beobachtet. Das ist die Art von Batterien, die man zwingend braucht, wenn man „off grid“ lebt, also nicht ans Netz angeschlossen ist. Autobatterien etwa sind von vornherein so konzipiert, dass sie kurzfristig viel Energie abgeben können (Starten des Autos) und dann über die Lichtmaschine schnell wieder aufgeladen werden. Doch ein Haus, dessen Energiebedarf sich fortwährend ändert (Beleuchtung, Waschmaschine, Radio und so weiter), kann man damit nicht versorgen. Dafür braucht man Batterien, die ihre Energie langsam abgeben und auch gemächlich aufnehmen, beispielsweise über Solarzellen. Aufgrund dieser speziellen Anforderungen sind Deep-Cycle-Batterien jedoch auch ziemlich teuer. Unsere Batterien waren ursprünglich Bestandteil des Notfallsystems eines Krankenhauses; sie wären also bei einem Stromausfall zum Einsatz gekommen. Damit nun ihre Funktionsfähigkeit in jedem Fall gewährleistet ist – sie sollen schließlich nicht Fernseher betreiben, sondern lebenserhaltende Maschinen! –, werden sie alle zwei Jahre ausgetauscht und dem Recycling zugeführt. Zu diesem Zeitpunkt sind sie aber kaum genutzt worden, wenn überhaupt. Statt die Batterien gleich zu recyceln, ist es doch viel besser, sie anderweitig zu nutzen. Es gelang uns, 30 Batterien zum Schrottpreis aufzukaufen. Nachdem sie uns sechs Jahre lang gute Dienste geleistet haben, sind sie nun tatsächlich reif für die Wiederverwertung. Im Augenblick sondieren wir die Möglichkeiten für gebrauchte Batterien in Estland …
DW: Verwenden eigentlich alle Ökokrieger, die umweltverträgliche Unterkünfte bauen, dieselbe Art von Energieversorgung?
JS: Will man sich erneuerbare Energien wie Solar-, Wind- oder Wasserkraft zunutze machen, hängt es sehr von den persönlichen Bedürfnissen und der geografischen Lage ab, für welche Variante man sich entscheidet. Windkraftnutzung etwa macht sich, wie mir jemand erzählt hat, im Wald nicht sonderlich gut. Allerdings würde ich das bei Gelegenheit gerne einmal ausprobieren. Turbinen aus alten Bohr- oder Waschmaschinenmotoren zu basteln, klingt nach Spaß! Wenn ich noch einmal von Neuem anfangen müsste, dann würde ich mir nach Möglichkeit ein Plätzchen in unmittelbarer Nähe zu einem fließenden Gewässer suchen, das von einem Berghang herabströmt. Damit wäre ein permanenter Energiefluss gegeben, den man für sich nutzbar machen kann, und das gratis. Estland ist allerdings flach wie eine Flunder – in absehbarer Zeit wird das also nichts …
DW: Ein anderer Aspekt wäre das Heizen. Du hast mir von den fiesen Wintern in Estland erzählt, wo die Temperaturen schon mal auf minus 30 Grad Celsius fallen können. In normalen Häusern sind wir daran gewöhnt, dass irgendeine Art von Wärmedämmung vorhanden ist. Wie hast du das Problem gelöst?
JS: Der Winter ist in der Tat eine große Herausforderung. Die Lösung, die ich dafür gefunden habe und mit der ich gerne arbeite, ist die sogenannte Strohballenarchitektur. Bei unserer großen Sauna etwa sowie beim Badanbau an meinem Haus sind Strohballen zum Einsatz gekommen. Die sind wirklich erschwinglich. Such dir einen Bauern, der Getreide anbaut und selbst Strohballen produziert. Bitte ihn darum, sie so fest wie möglich zu komprimieren, und lass sie dir auf deine Baustelle transportieren. Auf diese Weise sparst du ein kleines Vermögen – wenn man bedenkt, was Baumaterialien normalerweise kosten. Die abgestorbenen Strohhalme, die nach der Verwertung des Getreides übrig bleiben, werden üblicherweise als Tiereinstreu genutzt. Aufgrund ihres Hohlkerns verfügen sie aber auch über ausgezeichnete Isoliereigenschaften. Die zu Blöcken gepressten Strohballen lassen sich zum Bau von Wänden und sogar Decken und Dächern verwenden.
Die Arbeit mit Strohballen ist auch herrlich „low skill“. Die Ballen werden einfach wie Legosteine aneinandergestapelt. In manchen Fällen kann man das Dach direkt auf die so errichteten Strohwände setzen – praktisch ohne weitere Tischlerarbeiten. Mehr „low skill“ geht nicht! Wie man mit Strohballen arbeitet, lässt sich problemlos über Workshops, gute Bücher und Youtube-Videos erlernen und vervollkommnen.
DW: Du hast schon kurz die Problematik der Wasserversorgung angesprochen. Die Leute, die Reynolds’ Ideen strikt auslegen, gewinnen ihr Trinkwasser durch die Aufbereitung von Regenwasser, richtig? Als ich letztes Jahr das Earthship Tempelhof in Baden-Württemberg2 besuchte, erfuhr ich von den Betreibern, dass es in Deutschland verboten ist, Regenwasser als Trinkwasser aufzubereiten – man muss an die zentrale Wasserversorgung angeschlossen sein. Hattest du in Estland mit ähnlichen Problemen zu kämpfen? Woher bezieht ihr euer Wasser?
JS: Mit dem Ansatz, unsere Wasserversorgung auf Regenwasser zu stützen, habe ich mich seinerzeit vor Ort auseinandergesetzt, fand aber, dass insbesondere die Trinkwasseraufbereitung zu aufwendig und zu teuer wäre. Man bräuchte dafür UV-Filter und alles Mögliche. Die Gesetzgebung dazu habe ich mir nie näher angesehen; aber da Regentropfen in ihrer Wolke eine ordentliche Strecke zurücklegen, bevor sie niedergehen, würde mich schon interessieren, was genau sich die deutschen Gesetzgeber dabei gedacht haben. Sicherlich geht es dabei um die Angst vor Kontamination. Aber genau das ist es, was ich an unserer „fortschrittlichen Gesellschaft“ so lachhaft finde: Wie können wir auf hohem Niveau Tests durchführen und auf deren Grundlage Empfehlungen aussprechen (in diesem Fall, das Regenwasser nicht zu trinken) – statt die Ursache der Verschmutzung zu ergründen und diese abzustellen? Von wegen „fortschrittlich“! Aber um deine Frage zu beantworten: Unser Wasser stammt aus einem fünf Meter tiefen Brunnen, der sich direkt auf dem Gelände befindet und den wir selbst ausgehoben haben.
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