Revolte: Der weltweite Aufstand gegen die Globalisierung

revolte„Revolte“ gehört zu den Buchveröffentlichungen, die man als kritischer Rezensent zwischen tendenziellem Verriss und eingeschränkter Empfehlung einordnen muss.Was sind die Mängel? Negativ ist die Grundhaltung des Autors, der Impfgegner und „Verschwörungstheoretiker“ mit Rassisten und religiösen Fanatikern auf eine Stufe stellt. Für einen Journalisten, der permanent Vernunft und Respekt im Munde führt, eine gelinde gesagt fragwürdige Einschätzung. Gravierender ist aber eine sachlich falsche Grundannahme des israelischen Schriftstellers.

So behauptet Eyal tatsächlich, dass die Errichtung staatlicher Grenzen eine neuzeitliche Erfindung der letzten zwei Jahrhunderte sei, und leitet daraus eine widernatürliche Fehlentwicklung der Menschheitsgeschichte ab. Spätestens seit der neolithischen Revolution jedoch, als der Homo Sapiens sesshaft wurde, war die Verteidigung des eigenen Bodens überlebensnotwendig für menschliche Gemeinschaften und die sich aus ihnen entwickelnden staatlichen Ordnungen. Die Römer errichteten in der Antike an ihren Außengrenzen in Europa, Nordafrika und im Nahen Osten gewaltige Grenzwälle, deren Überreste des Limes man heute noch in Deutschland bewundern kann. Die Chinesische Mauer, die einst errichtet wurde, um das Reich der Mitte vor den Einfällen der Mongolen zu schützen, ist das einzige von Menschen geschaffene Bauwerk, das man sogar vom Weltall aus erkennt. Das moderne Passwesen in Europa resultierte aus staatlichen Schutzvorkehrungen gegen die Ausbreitung der Pest im Übergang zwischen Mittelalter und Neuzeit.

Mit diesem falschen Axiom, das einer nomadisch-kosmopolitischen Grundhaltung entspringt, werden die notwendigen Schlussfolgerungen aus der Gegenwartsanalyse verfälscht. Sinnigerweise erschien die deutsche Übersetzung Ende Januar dieses Jahres und damit vor Ausbruch der Corona-Pandemie, die die Anfälligkeit globaler Vernetzung und die Notwendigkeit nationalstaatlicher Grenzen vor Augen geführt hat.

Was sind nun die Stärken des Buchs? Das vorliegende Werk ist eine Sammlung von Essays und Reportagen rund um den Globus. Der viel gereiste Verfasser erklärt anschaulich an vielen Beispielen, was Globalisierung überhaupt bedeutet. Dabei scheut er sich auch nicht, die negativen Folgen wie ökonomische Verwerfungen und Ausbeutung, Verlust der kulturellen Identität und Umweltzerstörung anzuprangern. Im Gegensatz zu den meisten Vertretern seiner Zunft bereiste Eyal auch Krisengebiete, sprach mit Globalisierungsopfern in den USA und Sri Lanka und führte kontroverse Gespräche mit verfemten Vertretern der radikalen Linken und Rechten in Europa. Für deutsche Leser wird damit beispielsweise der Wahlerfolg von Donald Trump bei der US-Präsidentschaftswahl 2016 nachvollziehbar.

Bedeutsam ist die Auffassung des im weltweiten Mediengeflecht gut vernetzten Publizisten, der letztlich ein Loblied auf die kapitalistische Globalisierung singt, dass der Aufstand gegen die globale Werteordnung in Zukunft noch größeren Anklang bei den Menschen finden wird. Schließlich ist gerade die Unter- und Mittelschicht durch die globale Konkurrenz bedroht und fühlt sich nicht mehr vom bisherigen System repräsentiert. Wer sich bereits eingehender mit dem Themenkreis Globalisierung auseinandergesetzt hat, dürfte auf viele bekannte Aspekte treffen; gleichwohl sind die Einblicke in die Denkweise des internationalen Medienkartells aufschlussreich.

Nadav Eyal
Ullstein
496 Seiten
ISBN: 978-3-550200-71-7
€ 29,99

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