Das Scheitern des Wissenschaftsjournalismus

Dass Konzerne, Politiker und Lobbyisten einen deutlichen Einfluss auf die tägliche Medienlandschaft nehmen, wird immer mehr Menschen bewusst. Der Fachjournalismus hingegen genießt einen weitaus besseren Ruf als die Tagespresse – zu groß ist das Vertrauen in die strengen Regeln der Wissenschaft. In jüngster Zeit zeigt sich jedoch immer wieder: Der Einfluss profitorientierter Interessengruppen auf den Wissenschaftsjournalismus steht dem Usus im populären Medienbetrieb in keinster Weise nach.

Aber: Journalisten können es besser! Michael Pollan hat im schon erwähnten Artikel „Playing God in the Garden“ die Lücken in den Gentechnik-Vorschriften fachkundig analysiert und später auch den Goldenen Reis kritisiert, wobei er u. a. das 50-Millionen-US-Dollar-Werbebudget51 für die Pflanze ansprach. Die WebsiteGMWatch52wiederum weist oft auf erfolgreiche konventionelle Zuchterfolge hin, die sich mit denen der Gentechnik messen können, uns aber von der Presse vorenthalten werden.

Die Kunst der totalen Informationskontrolle

Geschönte Meldungen über Biotechnik sind äußerst nützlich für die Industrie. Berichte über angebliche wissenschaftliche Erfolge gehen Hand in Hand mit strengen Leitartikeln53 renommierter Magazine, in denen die „irrationalen Einwände“ gegen die Gentechnik verdammt werden. So kommunizierte „Durchbrüche“ sind eben auch ein gutes Mittel, um sich ausländische Absatzmärkte zu erschließen.

Der wichtigste Nutzen ist weniger offensichtlich: Die Agrarindustrie sichert sich finanzielle Erfolge, indem sie Abhängigkeiten54 schafft und Monopole55 zur Kontrolle der Landwirtschaft erzeugt. Die Produkte dieser Industrie sind für die Landwirtschaft ausnahmslos überflüssig56– und doch müssen immer wieder Neuheiten her. Bei deren Entwicklung allerdings tut sich die Industrie oft schwer.57 Meldungen über „Durchbrüche“ helfen dabei, ein Image aufzubauen, das die Industrie als ethisch,innovativ und unverzichtbar für eine nachhaltige Zukunft zeigt.

Solche Berichte entstehen also nicht nur, weil Journalisten zu bequem sind, ein Thema gedanklich zu durchdringen (auch wenn das hilfreich ist). Für die Agrarindustrie und andere mächtige Unternehmen steht beim Wissenschaftsjournalismus alles auf dem Spiel.58 Ihr Ruf ist ständig gefährdet, denn bei wissenschaftlichen Themen wird Heuchelei schnell offensichtlich: Die Mitschuld am Klimawandel wird dementiert, gleichzeitig aber Firmenverantwortung großgeschrieben. Auf den Rechtsstaat wird bestanden, während man sich in politische Verfahren einkauft oder Bestechungsgeld an Regierungsbeamte zahlt.59, 60 Das Umwelt- und das Arbeitsschutzrecht sollen untergraben werden, während die Mitglieder der Firmenleitung sich per Eigenwerbung als saubere, grüne, wohltätige Weltbürger inszenieren usw.

Was würde passieren, wenn die New York Times oder der Nachrichtensender NBC– unter entsprechend drastischen Schlagzeilen – detailliert analysierten, wie Gentechnik-Firmen immer wieder die wissenschaftliche Literatur manipulieren?61 Was wäre, wenn Fox News die (wahre) Geschichte62 publizierte, wie der US-Gesundheitsbehörde FDA von den eigenen Wissenschaftlern geraten wurde, Gentechnik-Firmen genau zu überprüfen – und die Behörde die politisch motivierte (und wohl illegale)63 Entscheidung traf, dem Rat nicht zu folgen? Was, wenn die Geschichten von anderen Radio- und Fernsehstationen und den Printmedien aufgegriffen würden? Die Verbraucher würden einen Aufruhr veranstalten. Für Politiker verfasste offizielle Dossiers würden ihre Glaubwürdigkeit einbüßen. Damit stünde die gesamte politische Unterstützung auf dem Spiel. Die Agrar- und die Biotechnik-Industrie würde wahrscheinlich zusammenbrechen. Demzufolge müssen sie sicherstellen, dass so ein Szenario niemals eintritt.

Nur aus diesem Grund unterstützen in Großbritannien Firmen wie BASF, Coca-Cola, Merck, L’Oréal, Monsanto, Syngenta, Smith & Nephew, der britische Atomwirtschaftsverband (und andere) seit Kurzem die Mediensteuerung64 durch ein „Science Media Centre“65 [ein Dienstleister, der Journalisten mit wissenschaftlichen Hintergrundinformationen versorgt, Anm. d. Übers.]. Diese Methode zur Informationskontrolle hat sich als so effektiv erwiesen (oder vielleicht die Bedrohung durch das Internet als so ernst), dass sogar schon internationale Ableger66entstanden sind.

Die Vermarktung angeblicher Durchbrüche spielt eine große Rolle bei der Steuerung der Wissenschaftsmedien. Und doch sind solche Eingriffe nur Teil einer kaum überblickbaren Beeinflussungsmaschinerie, mit der die Industrie ihre Außenwahrnehmung (und die ihrer Produkte) minutiös inszeniert.67 Anders als vor 30 Jahren sind heute einzelne Wirtschaftsbereiche, z. B. die Biotechnik, sowohl ausreichend profitabel als auch monopolistisch und global aufgestellt. Deswegen können sie den Informationsfluss zum Vorteil ihrer größeren Mitglieder koordinieren – über drei verschiedene, miteinander zusammenhängende Denkbereiche hinweg: den öffentlichen Bereich (Fernsehen, Rundfunk, Printmedien), den wissenschaftlichen Bereich (Publikationen in Fachzeitschriften) und den politischen Bereich (Regierungsberichte und Debatten).

Ein typisches Beispiel68 dafür ist der „Bio4EU“-Bericht.69 Er wurde im Jahr 2007 von dem der Industrie eher skeptisch gegenüberstehenden Europäischen Parlament in Auftrag gegeben. In dem Papier sollten Behauptungen über die neue „wissensbasierte Biotechnik-Wirtschaft“ untersucht werden. Weil sich die Faktenlage als außerordentlich dünn herausstellte, mobilisierte die Industrie ihre Ressourcen. Sie erreichte, dass die schwache Datengrundlage im Berichtstext aufgebläht und in der Kurzfassung aus tausenden Biotechnik-Arbeitsplätzen Millionen wurden. In der Zusammenfassung konnten die Parlamentarier sogar lesen70, dass die neue Biotechnik „die Zwangsverbindung von Wirtschaftswachstum und Umweltbelastung beenden“ würde. Allerdings wird so ein Fazit weder durch den Text noch durch die Datengrundlage gerechtfertigt. Und doch verhinderte der konzentrierte Druck auf das unabhängige Institut71, das den Bericht verfasste, eine mögliche Katastrophe für die Branche. Ganz offensichtlich durfte der Medienjubel über wissenschaftliche Erfolge nicht durch Nachforschungen von Politikern konterkariert werden.

Den EU-Parlamentariern ist wahrscheinlich nie bewusst geworden, dass ihr Bericht ein gigantischer Betrug war. Der Fall zeigt aber, wie weit die PR-Maschinerie der Industrie inzwischen (um einen militärischen Begriff zu gebrauchen) eine Überlegenheitauf allen Ebenen in sämtlichen Informationsbereichen erreicht hat. Auf die Weise konnte sich das Werbe-Image von der tüchtigen Industrie so weit von der Realität entfernen, dass sich eine Kluft72 aufgetan hat, die letztlich die gesamte Biotechnik verschlingen könnte. Hierin unterscheidet sie sich aber nicht von anderen Industriezweigen – von den Lebensmittelherstellern über den Bergbau bis zur Rüstung. Nur wenige Menschen würden solche Geschäfte in ihrer jetzigen Form unterstützen, wenn sie sie komplett durchschauen würden.

Daraus folgt: Die grundlegende Ursache, warum Unternehmen auf die beschriebene Weise agieren können, ist, dass die Presse dabei versagt, ihre elementaren Aufgaben zu erledigen. Im Jahr 1822 sagte James Madison, der vierte Präsident der Vereinigten Staaten (1809–1817 im Amt):

„Eine vom Volke ausgehende Regierung ohne Informationen für die Allgemeinheit, oder die Mittel, sie zu beschaffen, ist nur der Prolog zu einerFarceoder einer Tragödie, oder vielleicht zu beidem.“

Das Zitat war sicher wörtlich gemeint. Heute, 200 Jahre später, haben wir den Status erreicht, den James Madison vorhersah. Es ist Zeit, ihn beim Wort zu nehmen und die folgende Frage zu stellen: Besteht die Lösung unserer wichtigsten Probleme – Klimawandel, soziale Ungerechtigkeit und fehlende ökologische Nachhaltigkeit – vielleicht einfach darin, eine leistungsfähige Medienlandschaft aufzubauen? Oder – andersherum gefragt – können wir es ohne sie schaffen?

Anmerkung der Redaktion

Der vorliegende Beitrag ist eine bearbeitete Version von Jonathan Lathams Artikel „Fakethrough! GMOs and the Capitulation of Science Journalism“. Den kompletten Artikel können Sie in der englischen Originalfassung auf der Website Independent Science News unter http://tinyurl.com/lkf7pf5 lesen. Die Endnoten zu unserer Fassung finden Sie aus Platzgründen online unter http://bit.ly/1r1FUW2.

Quellen

  • Abhary, M.; Siritunga, D.; Stevens, G.; Taylor, N. J., Fauquet, C. M.: „Transgenic Biofortification of the Starchy Staple Cassava (Manihot esculenta) Generates a Novel Sink for Protein“ in PLoS One DOI, Januar 2011, 6(1); http://bit.ly/1gLnt3P
  • Paine, J. A.; Shipton, C. A.; Chaggar, S.; Howells, R. M.; Kennedy, M. J.; Vernon, G.; Wright, S. Y.; Hinchliffe, E.; Adams, J. L.; Silverstone, A. L., Drake, R.: „Improving the nutritional value of Golden Rice through increased pro vitamin A content“ in Nature Biotechnology, 2005, (23):482–487; http://bit.ly/1sR0owc
  • Tang, G.; Qin, K.; Dolnikowski, G. G.; Russell, R. M., Grusak, M. A.: „Golden Rice is an effective source of vitamin A“ inAm J Clin Nutr, 2009, 89(6): 1776–1783; http://bit.ly/1klZDKY
  • Tang, G.; Hu, Y.; Yin, S.; Wang, Y.; Dallal, G. E.; Grusak, M. A., Russell, R. M.: „beta-Carotene in Golden Rice is as good as beta-carotene in oil at providing vitamin A to children“ in Am J Clin Nutr, 2012, (96):658–664, online auf biotechbenefits.croplife.org; http://bit.ly/1lM1GWY
  • Song, W. Y.; Wang. G. L.; Chen, L. L.; Kim, H. S.; Pi, L. Y.; Holsten, T. et al.: „A receptor kinase-like protein encoded by the rice disease resistance gene, Xa21“ in Science, 1995, 270(5243):1804–6; http://bit.ly/R5IzgS
  • Ye, X. et al.: „Engineering the provitamin A (beta-carotene) biosynthetic pathway into (carotenoid-free) rice endosperm“ in Science, 2000, (287):303–305; http://bit.ly/1m0Gyh9

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