Die Reise eines Idealisten durch den Kryptokosmos

Als ich vor etwa anderthalb Jahren als absoluter Laie begann, mich mit den Themen Bitcoin, Blockchain und Kryptowährungen auseinanderzusetzen, traf ich in diesem Umfeld vor allem Techniknerds, Visionäre oder Risikospekulanten an. Sie warfen mit Begriffen um sich, von denen ich nur jeden zweiten verstand. Hitzige Diskussionen in einer Facebookgruppe drehten sich um „Mining-Pools“, die mögliche Funktionsweise des „Lightning-Networks“ oder die Lösungen anderer „Coins“ für das „Skalierungsproblem“. Ich verstand nur Bahnhof, begann aber, mich ebenfalls einzunerden.

Wenn ich damals ein Gespräch in Richtung Kryptowährungen lenken wollte, bekam ich von Freunden ein müdes Achselzucken. Wer überhaupt davon gehört hatte, war sich sicher: „Das ist doch was für Kriminelle.“ Kurz: Bitcoin war etwas für Freaks, Träumer oder die Mafia.

Mittlerweile hat sich alles geändert. Jeder hat eine Meinung dazu. Die Sätze, die ich heute am häufigsten höre, lauten etwa „Hätte ich doch vor einem Jahr Bitcoin gekauft.“ oder „Jetzt ist es zu spät, zu investieren. Die Blase wird sicher bald platzen.“

Inzwischen vergeht kaum ein Tag, in dem mir nicht im Netz irgendein Artikel zugesandt wird oder ich in Beiträgen zum Thema verlinkt werde. Mir hat sogar kürzlich jemand per Post eine Zeitschrift geschickt, in der das Thema angeschnitten wurde. Ich interessiere mich ja schließlich dafür.

Die Facebookgruppe ist von damaligen 500 auf beängstigende 30.000 Mitglieder angewachsen, und der heutige Standard-Post darin liest sich etwa so:

„Hallo, ich bin völlig neu in dem Thema und habe auch nichts dazu recherchiert. Ich habe aber 100 Euro, will davon ein paar Bitcoins kaufen und Millionär werden. Welchen Knopf muss ich drücken?“

Herzlichen Glückwunsch. Der Bitcoin kommt langsam, aber sicher im Mainstream an.

Für die einen ist er ein Spekulationsobjekt, für die nächsten ein illegales Schneeballsystem, das sich nur zur Geldwäsche eignet, für wieder andere ist er eine unkontrollierbare Blase. Ob als Zukunft des Geldes, wie es für das Goldene Zeitalter prophezeit ist, oder als Zeichen des Tieres, das uns alle versklaven wird: Für jeden ist eine Interpretationsmöglichkeit dabei. Klar scheint nur eines: Der Bitcoin polarisiert.

Auch bei mir hat er das getan. Doch mit einfachen Erklärungen wollte ich mich nicht zufriedengeben. Der Bitcoin hat in mir den Ehrgeiz geweckt, seine wahre Natur zu enträtseln. Er führte mich auf eine Reise in die Weiten des Kryptokosmos voller Bits und Bytes, zu der ich auch Sie einladen will. Ich möchte Ihnen schildern, wieso es mir zu einem Herzensanliegen wurde, Informationen über Kryptowährungen zu verbreiten, wo ich jetzt stehe und wo aus meiner Sicht Gefahren und Chancen der Digitalwährungen liegen. Die Idee des NEXUS-Chefredakteurs, eine regelmäßige Kolumne zum Thema zu schreiben, kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Als Thomas Kirschner mit seinem Vorschlag an mich herantrat, brauchte ich keine zwei Sekunden Bedenkzeit, um das Angebot anzunehmen. Und hier ist sie nun. Willkommen zu meiner Kolumne „Neues Geld – Neue Welt?“ Sind Sie angeschnallt? Dann los!

Meine eigentliche Reise in diese Themen begann vor über zehn Jahren, im Jahr 2007. Nein, ich war kein Investor der ersten Stunde (damals gab es noch nicht einmal den Bitcoin), aber die alternativen Medien waren auf dem Vormarsch. Ich begann, mich mit allen erdenklichen politischen Inhalten auseinanderzusetzen und blieb letztlich bei einem zentralen Thema hängen, das mich bis heute nicht losgelassen hat: dem Geldsystem. Im Mittelpunkt meiner Recherchen stand von Anfang an das Giralgeld, das mit etwa 80 Prozent der Geldmenge in der Europäischen Währungsunion den weitaus größten Teil der Geldschöpfung ausmacht. Giralgeld ist nicht das Geld, das Sie in Ihren Händen halten, sondern das digitale Geld auf Ihrem Bankkonto. Es entsteht durch Kredite. Wenn Sie sich also die Finanzmittel zum Bau Ihres Eigenheims bei der Bank leihen möchten, kann diese das Geld dafür schlichtweg erfinden. Das Geld wird dabei nicht nur aus dem Nichts geschöpft, sondern sogar durch Schulden. Ihren Schulden. Wenn jegliches Giralgeld weltweit komplett zurückgezahlt würde, gäbe es quasi kein elektronisches Geld mehr im Umlauf. Das perfide daran ist, dass die Zinsen und Zinseszinsen dann immer noch nicht abbezahlt wären. Die Banken verlangen somit mehr Geld, als es insgesamt auf der Welt gibt. Die Lösung dafür ist Enteignung: Die Pfändung der Sicherheiten, die Sie oder jemand anders bei der Bank hinterlegt haben, als Sie durch einen Kredit Giralgeld erschaffen haben. Durch dieses Bankensystem werden nach und nach ganze Völkerscharen enteignet oder in die Armut getrieben.

Doch was konnte man dagegen tun? Der zweite Schritt war logischerweise, mich mit möglichen Lösungen auseinanderzusetzen: Wie sähe das ideale Geld aus? Ich schrieb sogar meine Masterarbeit über alternative Finanzsysteme und fand Gradido, einen Gesellschaftsentwurf mit utopischem Charakter, der viele meiner Wunschvorstellungen in einem Modell zusammenbrachte und mir schon nahe an der Perfektion zu sein schien.

Das alles war wichtig und spannend, jedoch gab es bei all den schönen Ideen zum perfekten Geld einen Schönheitsfehler: Sie blieben Gedankenkonstrukte.

Da ich keine Möglichkeit sah, eine solche Vision in die Praxis umzusetzen und auch nach dem Studium beruflich stark eingebunden war, legte ich das Thema vorerst ad acta. Aus meinem Hinterkopf und auch aus meinem Herzen verschwand es aber nie komplett, sah ich doch, wie viele Probleme die Geldnot in einer Welt des materiellen Überflusses unnötigerweise erzeugte. Als Systemsklave, der jeden Tag brav nach dem Wecker lebt, erfuhr ich es ja am eigenen Leib, was es bedeutet, dem Geld hinterherzurennen.

Und dann kam Bitcoin ins Spiel. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen, dass hier ein Geldsystem auf die Bildfläche trat, dass mir zwar in mancherlei Hinsicht noch nicht optimal erschien, aber doch das Potenzial hatte, den Stützen und Nutznießern des heutigen Geldsystems, den Banken, die Vorherrschaft zu entziehen.

Bitcoin schaffte es aus meiner Sicht nicht nur, eine gewisse Anonymität im Zahlungsverkehr wiederherzustellen, blitzschnelle, weltweite Transaktionen fast ohne Gebühren zu ermöglichen und durch eine dezentrale Datenbank namens Blockchain die Wertaufbewahrungsfunktion der Banken zu ersetzen. Nein, Bitcoin griff sie sogar in ihrer verborgenen Königsdisziplin an: dem Erschaffen von Geld durch Schulden.

Ich war baff, dass ich die Digitalwährung so lange übersehen hatte und zugleich überwältigt von den Möglichkeiten. Aus meiner Sicht konnte Bitcoin den Banken komplett ihre Daseinsberechtigung nehmen. Es lag nur an uns, ihn auch zu nutzen.

Ein weiterer, äußerst positiver Nebeneffekt war, dass durch die Begrenzung auf 21 Millionen Bitcoin eine Wertsteigerung quasi vorprogrammiert war. Ich konnte nicht nur etwas Gutes tun, sondern damit möglicherweise auch noch Geld verdienen!

Doch muss man nicht lange dabei sein, um festzustellen, dass Bitcoin auch Schwächen hat: Gerade durch die künstliche Verknappung auf 21 Millionen Einheiten stellt sich die Frage, ob es sich als eine Art Universalwährung eignet. Denn Geld muss nun mal fließen. Aber wer gibt schon gerne Geld aus, das immer wertvoller wird? Die Blockchain eignet sich zudem zwar als dezentraler Speicher einiger weniger Informationen hervorragend – sobald aber endlos viele Daten neu hinzukommen, wie es beim regelmäßigen Zahlungsverkehr der Fall ist, stößt die Technologie (zumindest wie sie beim Bitcoin angewandt wird) an ihre Grenzen. Die Transaktionen werden dadurch langsamer, die Gebühren höher. Bitcoin ist zudem ein riesiger Stromfresser, und nicht zuletzt muss natürlich dem Verdacht nachgegangen werden, inwiefern es unterwandert werden kann oder bereits wurde. Auch dass die Identität des Bitcoin-Erfinders Satoshi Nakamoto und somit die wahre Herkunft des Bitcoin bisher nicht geklärt werden konnte, steht einer Digitalwährung, die sich eine hohe Transparenz auf die Fahnen geschrieben hat, nicht gut zu Gesicht.

Kurz: Bei der Recherche zur Anwendbarkeit des Bitcoin entdeckte ich viel Licht, aber auch viel Schatten.

Wie die technischen Grenzen genau aussehen, an die der Bitcoin stößt, wie diese möglicherweise überwunden werden könnten und zu welcher philosophischen Frage über die Richtung des Bitcoin dies führt, schildere ich Ihnen in der nächsten Ausgabe meiner Kolumne.

Ihr Kryptokosmonaut

Max

Kommentar schreiben

Folgende Art von Kommentaren sind unerwünscht und werden von uns entfernt:

  • (Schleich-)Werbung jedweder Art
  • Kommentare die nichts zum Thema beitragen
  • Kommentare die der deutschen Sprache nicht gerecht werden
  • Geplänkel mit anderen Kommentarschreibern
  • Kontaktanfragen an die Redaktion (benutzen Sie hierfür bitte das Kontaktformular)

Bitte beachten Sie unsere Datenschutzhinweise