„Die Seele will frei sein“: Von Leben, Tod und Wiedergeburt im Zeitalter der Unwissenheit

seZur Verabschiedungszeremonie für Thomas Kirschner, den langjährigen Chefredakteur und Herausgeber des NEXUS-Magazins, fahre ich mit Amara, einem vedischen Priester, nach Immenstadt. Die achtstündige Autofahrt vergeht wie im Flug; zweimal verpassen wir die Abfahrt, weil wir derart ins Gespräch vertieft sind. Wir unterhalten uns über das Weltbild der Veden, und wir reden, als würden wir uns schon ein halbes Leben kennen. Vielleicht ist es nur das, was er sagt, denn es weckt vertraute Erinnerungen. Für eine Stunde, in der wir über Leben, Tod und Wiedergeburt, über das Kali-Yuga und das bevorstehende Ritual sprechen, schalte ich spontan mein Aufnahmegerät ein.

Amara: Da gibt es genaue Zeiten, ja. Also normalerweise spricht man von einem Zeitraum von 10 bis 15 Tagen, nach denen sich die nächste Inkarnation vollzieht, aber das ist nur eine Art Richtwert. Schlussendlich hängt es von deinem persönlichen Karma ab, wie lange du brauchst, um vollständig zu reinkarnieren. Es ist ja so: Du streifst den grobstofflichen Körper ab, aber dein feinstofflicher Körper trägt dich in deine nächste Inkarnation. Dieser feinstoffliche Körper besteht ja auch aus deinem falschen Ego – und das falsche Ego ist das letzte, was sich auflöst. Das ist ein krasses Wort, aber gemeint ist das, was sich in wahres Ego transformiert, wenn du Befreiung erlangst. Wenn du aus dem materiellen Bewusstsein, aus der materiellen Welt herausgehst. Dann transformiert sich dein falsches Ego durch die verschiedenen Elemente und die verschiedenen Schichten in dein wahres Ego, und du erlangst Befreiung. Vorher nicht. Das heißt, das falsche Ego ist immer da, und es trägt dich sozusagen in deine nächste Bestimmung.

Daniel: Das heißt, der Karmazyklus existiert so lange, wie es das falsche Ego gibt?

Amara: Genau. Und deswegen nimmt jemand, der stirbt, zwar seine schlechten und seine guten Reaktionen mit, aber am Ende dieses Lebens, hier, da passiert das, was ich vorhin gesagt habe: Deine guten Eigenschaften, deine Qualifikationen und deine Segnungen, die verteilst du an deine Freunde, deine Familienmitglieder – denn die haben auch einen Segen davon, dass du gehst. Deswegen wird das in Indien auch wie ein Fest gefeiert – natürlich nicht so wild wie in Mexiko, wo sie mit den Skeletten tanzen … Allerdings gibt es da auch so eine bestimmte Zeit, die nennt man ashaucha. In der Zeit trauert man, man hat keine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft. Man darf trauern, man darf der Person nachweinen.

Die Befreiung, das ist nochmal ein anderes Thema, da hole ich mal etwas aus: Das Karma, also, wenn du jetzt schlechtes Karma vollzogen hast, dann überträgt sich das über viele Generationen. Da können sich bestimmte Traumata bilden. Man spricht da von bis zu neun Generationen, über die sich so ein Trauma fortsetzen kann. Also wenn etwas Schlechtes innerhalb der Familie gelaufen ist, dann überträgt sich dieses Trauma zunächst mal auf die nächsten Generationen. Wenn nun aber jemand Befreiung erlangt, dann ist das etwas wirkliche Seltenes. Für die Seele ist es nichts Normales, Befreiung aus diesem materiellen Zyklus hier zu erlangen, denn samsara – der Kreislauf von Geburt und Tod – ist ein System, das sehr schwierig zu überwinden ist. Wir sehen das ja an uns selbst, mit allen Anhaftungen, allen Barrieren und Problemen, die wir haben. Aber wenn eine Person es doch schafft, durch diese letzte Barriere, das falsche Ego, hindurchzustoßen, dann erlangt sie Befreiung. Und die Segnungen dieser Befreiung, die verspüren innerhalb der Familie noch Generationen nach ihr.

Daniel: Das Thema hat mich in letzter Zeit öfter bewegt. Ich habe viel darüber nachgedacht, was man so als „Familienkarma“ mit sich herumschleppt. Was man über das Blut und über die Erziehung mitbekommt, Knoten, die manche Familienmitglieder mit sich herumtragen – über die du dir Gedanken machst, und die manchmal auch unbewusst in der Erziehung an die nächste Generation weitergegeben werden. Aber neun Generationen? Das ist schon echt krass. Man erinnert sich ja bewusst höchstens an das, was die Großeltern erzählt haben – und über die eigentlichen Probleme, die Ursachen des Traumas, wird ja selten geredet.

Amara: Ja, genau. Und wir haben alle viele Traumata in unseren Familien, gerade hier in Europa, wo so viel Kriege durchgezogen sind. Das heißt: Unsere Familien sind alle durch Krieg so erschüttert worden, dass es sehr schwierig ist, diese Traumata einfach zu lösen. In der Tradition des vedischen Kontexts – ich möchte das nicht so doktrinär sagen – ist die spirituelle Praxis jedenfalls ein ganz wichtiger Aspekt, und dass man sich als einen ganz kleinen Teil des Ganzen betrachtet. Schlussendlich so, wie in der alten vedischen Tradition: als dasa, also als Diener Gottes, als Diener der Menschheit. Das klingt jetzt zwar nach einem Gutmenschen, aber gemeint ist damit eben: zum Wohle der Menschheit. Man dient der gesamten Menschheit, nicht nur einem kleinen Teil. Letztlich geht es darum, dass man eben bewusst handelt – und da kannst du Traumata durchstoßen.

Daniel: Ich frage mich ja sowieso schon eine ganze Weile, wie man so ein Trauma, wenn man es denn erkannt hat, verarbeitet. Ich meine, die Erkenntnis ist schon ein wichtiger Punkt – aber so etwas kann man doch nicht loslassen. So etwas beschäftigt einen doch.

Amara: Genau, man kann das nicht einfach so auflösen. Wir tragen das alle irgendwie mit uns rum, die einen mehr, die anderen weniger. Deshalb ist die spirituelle Praxis ein ganz wichtiges Element, etwas, das dir dabei helfen kann, Traumata erst zu erkennen, und sie dann neu zu bewerten. Du musst verstehen, dass du nicht nur der Körper bist, und dass du damit auch nicht nur zu dieser „körperlichen Familie“ gehörst. Dass alle diese Dinge, diese Traumata der Familie in deinem Mechanismus sind – und der bestimmt, wie du auf gewisse Dinge in deiner Umwelt reagierst. Und dieser Mechanismus ist eben getränkt durch deine Vorfahren. Ob du nun mit Zorn auf etwas reagierst, oder mit Mitleid, vielleicht auch mit Selbstmitleid – dass du denkst: „Ach, ich armer Mensch“ – das alles sind eben bestimmte Mechanismen. Und die kannst du durchstoßen …

Daniel: … indem du anders handelst.

Amara: Genau. Indem du eben darauf nicht mehr so reagierst, wie Generationen vor dir. Aber es ist auch von Individuum zu Individuum unterschiedlich. Jeder reagiert ja nach seinem Karma. Das ist auf jeden Fall ein sehr komplexes Thema.

Daniel: Wir hatten ja schon davon gesprochen, dass das alles eigentlich eine Wissenschaft ist – die des Geistes, oder der Seele, wenn man so will. Wo wir gerade bei Familien sind: Gibt es denn in den Veden dann auch so ein Konzept der Familienseelen? So etwas wie Gruppeninkarnationen?

Amara: Ja, auch. Das ist dann aber anders zu sehen, als wir es vielleicht wahrnehmen. Es gibt Gemeinschaftskarma – das ist ja ganz klar –, und dass du als Familie innerhalb der Familie wieder inkarnierst, um dein eigenes gesätes Getreide zu ernten, ist auch klar. Wie sich das dann staffelt – ob du jetzt der Uropa warst oder so –, das lässt sich nicht pauschal sagen. Wenn du als kleines Kind zum Beispiel schon die Sachen von deinem Opa anziehen wolltest, kann das ein Hinweis sein. So werden ja auch die Lamas in Tibet ausgewählt, die haben genaue Indikatoren, die wissen genau, wo der Verstorbene inkarniert, weil er das vorher schon festgelegt hat. Wenn du so ein Mystiker bist, schaffst du das auch, dann kannst du dir wünschen, wo du inkarnierst, bei wem und unter welchen Umständen. Da ist der freie Wille noch gegeben. Wir haben ja alle ein bestimmtes Maß an freiem Willen, die einen mehr, die anderen weniger, ganz abhängig davon, was deine Bestimmung ist, welche Rolle du in der Weltgeschichte spielst. Am Ende hängt es davon ab, wie die Konstellation ist, wie dein Karma ist.

Daniel: Klar, weil es eben ein individueller Prozess ist.

Amara: Genau. Jeder hat sein eigenes Schicksal, und das ist nicht komplett festgelegt. Wer in der vedischen Astrologie geschult ist, also in diesen jyothisha shastras, der kann das auch sehen, ob die Seele sich inkarniert, schon inkarniert hat, wo sie sich inkarnieren wird und was ihre nächste Aufgabe ist. Das kann man alles genau errechnen.

Daniel: Gibt es denn laut den Veden dann so etwas wie junge und alte Seelen? Oder wie ist das zu sehen? Gibt es unterschiedliche Seelenalter?

Amara: Eine Seele ist zuallererst ewig. Die Frage ist bloß, wann sie hier, auf dieser Erde, auf diesem Planeten, oder in diesem Bewusstseinsraum inkarniert ist. Es ist ja so: Das Universum ist unterteilt in 14 lokas, 14 Hemisphären, 14 Bewusstseinsebenen. Und die Erde ist der Mittelpunkt von diesen Universen – diesem einen Universum, in dem wir uns gerade befinden. Und da gibt es Schichten, die sind oberhalb, und Schichten, die sind unterhalb. Seelen, die sich hier auf dieser Bewusstseinsebene inkarnieren, die können schon lange auf dieser Erde verweilen – oder sie können von höheren Schichten kommen.

Daniel: Man muss das also in Relation zum Erdenleben sehen. Dann ist es ja irreführend, von jungen oder alten Seelen zu sprechen. Man müsste dann eher von „junger Erdeninkarnation“ oder Ähnlichem sprechen.

Kommentare

08. Februar 2019, 09:16 Uhr, permalink

uwe

Göttliche Natur hat uns zum Geist im Solsystem erschaffen.Wie aus der einen erstenerschaffen Zelle sich der ganze Mensch erschafft, erschafft das Universum aus sich Leben und aus vielen Arten Lebens endlich Geist!

08. Februar 2019, 09:39 Uhr, permalink

uwe

Freier Geist sucht sich zu binden,
an Notwendiges das Göttliches offenbart,
er sucht nach diesem Ewigen und
wird ihm es spiegelnd gleich.

01. März 2019, 22:06 Uhr, permalink

Udo

Ich bin da etwas anderer Meinung, ich sehe daß die Vergebung sehr wichtig ist, um Karma aufzulösen, denn dann wird der Weg frei für die Transformation. Selbstlosigkeit ist wichtig um Gott zu dienen, damit drücken wir Liebe in der Praxis aus, in Form von Nächstenliebe.

Hier in Europa feiern wir Christi Himmelfahrt und auch Maria Himmelfahrt, weil es keinen Leichnam der beiden gab, die Transformation hat den Körper vergeistigt um in einer höheren Schwingungsfrequenz weiter zu leben, ohne neu Inkarnieren zu müssen.

Jesus sagte, ich bin die Auferstehung und das ewige Leben! Er leuchtete uns den Weg um ebenfalls das Leben meistern zu können.

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