Verheimlicht – vertuscht – vergessen: Was 2018 nicht in der Zeitung stand

Gerhard Wisnewskis Jahrbuch ist seit 2011 Pflichtlektüre zum Jahreswechsel, und dieses Mal konnte ich es wie gehabt in einem Rutsch verschlingen. In den vergangenen beiden Jahren blieb es mir ein wenig im Hals stecken, denn man merkte, dass im Hintergrund beim Autor einiges köchelte – der unerwartete Verlagswechsel, der Gutjahr-Prozess –, was die bei zentralen Themen gallige Schreibe fast verbittert schmecken ließ.

Was mich an „verheimlicht – vertuscht – vergessen“ neben Süffisanz und Stilsicherheit seit jeher bei der Stange gehalten hat, das war die Vielfalt der Themen. Leider haben die Jahre der hochgekochten Migrationskrise das Buch doch recht einseitig gefärbt. Gut, vielleicht habe ich Wisnewskis Positionen zu unkontrollierter Zuwanderung, Gender-Mainstreaming, Feminismus, Weltregierung und Grenz­auflösung über die Jahre schon so verinnerlicht, dass ich mir zuweilen wie unter einer Kanzel vorkomme – wichtig finde ich allemal, dass er sie predigt. Denn nur dadurch entfalten sie ja überhaupt Wirkung … und ich kann Argumente abwägen und meine Denke irgendwo zwischen den Extremen einjustieren.

Da Wisnewskis warnender Zeigefinger sowieso in meiner Weltbetrachtung herumfuchelt und dräuend über allen seinen Texten schwebt, haben mich im aktuellen Buch gerade die Themen fasziniert, bei denen er nicht seine eingetrampelten Pfade einschlägt. In zwei Abschnitten geht es zum Beispiel um die Abzocke in der Medizin bei Demenz und Bluthochdruck, und er bringt dort brisante Aspekte ins Spiel: Wussten Sie, dass die Zahl der Demenzkranken in Deutschland in die Höhe geschossen ist, seit 2013 neue Bewertungsmaßstäbe eingeführt wurden und jeder Arzt auch ohne Patientenkontakt für „Demenzkranke“ kassieren kann? Und kennen Sie sämtliche Fehlerquellen, die eine Blutdruckmessung verfälschen können, wie die Wahl des Arms beim Messen, Erwartungsangst, Harndrang oder Weißkitteleffekt?

Auch zum Chemnitz-Zwischenfall wirft er Fragen auf, die ich mir trotz kritischer Betrachtung so noch nicht gestellt habe – und die zielen durchaus in eine ungewohnte Richtung. Wie ein riesiges Konzert mit eigener Website und allem Pipapo offiziell innerhalb von drei, vier Tagen aus dem Boden gestampft werden kann, lässt sich vielleicht noch durch verdammt gutes Networking erklären. Aber wirklich argwöhnisch stimmte mich der Auftritt des „Whistleblowers“ Daniel Z., der den Haftbefehl gegen einen Tatverdächtigen im Netz veröffentlicht hat. Dass der einen nichtdeutschen Hintergrund hatte, war nämlich längst öffentlich bekannt – und warum verstößt jemand, der das deutsche Justizsystem und die Wahrheit retten will, ausgerechnet gegen einen zentralen Grundsatz ebenjenes Systems … und riskiert damit wissentlich seinen Job? Zumal der Tatverdächtige am Ende gar nicht der Täter war? Dass Daniel Z. dann noch bei einer Compact-Konferenz agitiert und die eh schon Aufgebrachten anheizt, passt wie Gesäß auf Pott. Und auch die zwei verschiedenen Blutlachen, die ich bei einer Netzsuche nach einem Tatortbild fand, hinterlassen Zweifel. Hier riecht etwas verdächtig nach Strategie der Spannung.

Sein ganzes Repertoire zeigt Wisnewski für mich allerdings, wenn er Kriminalfälle analysiert – leider waren seine dahingehenden Jahrbücher nur kurzlebig. Heuer geht es um den dänischen U-Boot-Mörder Peter Madsen, einen skurrilen Erfinder, dessen Geschichte allein schon willkommenes Futter für jeden Schreiberling ist. Dass der überführte Täter sich in seiner selbst gebauten Nautilus einer 30-jährigen politisch korrekten Überfliegerin „annahm“, kommt Wisnewski natürlich gelegen. Aber er bereitet diesen Fall meisterlich auf: Man kommt nicht von der Geschichte und auch nicht vom Gedanken los, dass da mehr dran ist als nur der Dreh eines Snuff-Videos – pervers genug.

Als Quasiabonnent des unkonventionellen und stichligen Rückblicks würde ich urteilen: Wisnewski ist sich treu geblieben, kehrt aber zu einer Themenvielfalt und Frische zurück, für die ich ihn mehr schätze als für das ewige Herumgekaue auf seinen Lieblingsthemen. Ein paar Lückenfüller mit locker zusammengeknepertem Faden sind wie immer dabei – aber ich lese das Jahrbuch sowieso zur Unterhaltung und als Denkanstoß, und das will es ja auch sein.

Gerhard Wisnewski
Kopp Verlag
286 Seiten
ISBN: 978-3-864456-38-1
€ 14,99

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