Der Staat ist das größte Monopol: Ansichten eines Libertären

StaatMonopolKapitalismus und Neoliberalismus haben keinen guten Leumund. Dabei wurzeln beide Begriffe in einer Idee, die nichts anderes bedeutet als freie schöpferische Selbstentfaltung. Ein Gespräch über das Zwangsmonopol Nr. 1 und den Weg in die Selbstverantwortung.

DW: Chris, ich hatte dich ja schon in Heft 91 vorgestellt, wo wir über die Grundrechte-Demos gesprochen haben. Hier soll es um deine Lebensphilosophie gehen, den Libertarismus. Die Demos sind mir ein ganz guter Aufhänger, denn einige Kritiker der aktuellen Maßnahmen sind ja überzeugt, dass es bei all dem um weit mehr geht als um Corona – nämlich um einen „Great Reset“, einen Neustart des Finanzsystems. Dass da im Hintergrund mehr geplant ist, nämlich die vierte industrielle Revolution, bestätigt ja nicht nur Klaus Schwab, der Chef des WEF, sondern auch der ehemalige parlamentarische Berater des Bundestages Sebastian Friebel, der jüngst mit seinem Dokument „Wie soll es weitergehen?“ an die Öffentlichkeit getreten ist. Meine Frage an dich als Libertären wäre: Wir haben jetzt Privatleute wie Eric Schmidt, Marc Zuckerberg oder Bill Gates. Alle haben offenbar zum richtigen Zeitpunkt die richtige Geschäftsidee gehabt und sind mit ihren Unternehmen innerhalb kürzester Zeit zu globalen Riesen herangewachsen, für die Staaten wie Zwerge wirken. Sie alle zahlen, soweit ich weiß, kaum Steuern, weil sie das Geld und die Macht haben, den Staat auszutricksen. Sie sind auch viel agiler als die trägen, demokratischen Staatsstrukturen. Ist das nicht die Vision der Libertären? Menschen, die ihre Visionen ohne Staatszwang unter die Leute bringen und mit ihren brillanten Ideen Geld verdienen? Haben Unternehmen wie Facebook und Google nicht das Ideal der Libertären verwirklicht?

CS: Ihre Gründer hatten gute Ideen und waren noch dazu fleißig. Milliarden von Menschen nutzen freiwillig ihre Produkte. Es scheint, als würde ihr Erfolg auf freiwilligem Austausch beruhen, was dem libertären Ideal entspräche. Jedoch kann man schlecht sagen, sie würden den Staat austricksen oder ihm überlegen sein. Es ist schlicht so, dass sie im beiderseitigen Interesse mit dem Staat zusammenarbeiten. Sie sind zwar nominell privat, tatsächlich gehören sie jedoch zum tiefen Staat – und dieser steht dem libertären Ideal diametral gegenüber.

Der Stanford Research Park, das sogenannte Epizentrum von Silicon Valley, entstand 1951 auf Initiative von Frederick Terman, der im Zweiten Weltkrieg in der elektronischen Kriegsführung tätig war. Facebook und Google haben Verbindungen zum Pentagon, zur CIA und zur NSA. Wer sich für die Hintergründe interessiert, dem kann ich „The Secrets of Silicon Valley“ von James Corbett empfehlen (CorbettReport.com/siliconvalley). Der nationale Sicherheitsapparat und Big Tech arbeiten gemeinsam daran, Menschen zu überwachen und zu analysieren, die Bewegungen großer Gruppen von Menschen in ihren Zusammenhängen zu begreifen, Trends zu identifizieren und neuralgische Punkte zu finden, an denen man die Bewegungen von Individuen und Gruppen umleiten kann, ohne dass die Menschen diese Manipulation bewusst wahrnehmen.

Silicon Valley gehört zur wissenschaftlich-technologischen Elite, vor der Eisenhower in seiner Rede über den militärisch-industriellen Komplex warnte. Google, Facebook und Co. zensieren aktuell entscheidende Informationen zu den wichtigsten Fragen unserer Zeit und verengen somit das Spektrum zugelassener Meinungen ganz im Sinne der Machteliten – und zwar schneller, als scheinbar demokratische Regierungen dies auch nur zu träumen wagten. Wir sehen hier die Korporatokratie. Private und staatliche Akteure, die häufig in den gleichen Denkfabriken sitzen, regieren gemeinsam und spinnen dabei ein komplexes Netz: den tiefen Staat.

Wir erleben aktuell, wie dieses System immer tiefer in das Leben jedes einzelnen Menschen eingreift und zunehmend global agiert. Darum geht es beim „Great Reset“ – es ist eine Selbstermächtigung des tiefen Staates über die Menschen der Erde.

Demgegenüber steht das libertäre Ideal der Dezentralisierung von Macht. Anstatt irgendjemandem ein System aufzuzwingen, setzen Libertäre auf das Selbstbestimmungsrecht jedes einzelnen Menschen.

DW: Das Problem der Korporatokratie durchzieht ja den ersten Band deiner geplanten Trilogie „Generation Mensch“. Du hast der Einleitung ungewöhnlicherweise mehrere Seiten mit Begriffsdefinitionen folgen lassen. Warum war dir dieser Definitionsteil so wichtig?

CS: „Das Volk versteht das meiste falsch, aber es fühlt das meiste richtig“, schrieb Kurt Tucholsky. Viele haben zwar eine ganz gute Ahnung davon, was auf der Welt schiefläuft und wie es besser laufen könnte – aber wenn es darum geht, das alles präzise zu beschreiben, scheitern die meisten leider kläglich. Ich vermisse die wissenschaftliche Genauigkeit im Diskurs über Wirtschaft und Politik. Das ist tragisch, denn pointierte Kritik und klare Visionen sind notwendig, um den Fokus für gezielte Veränderungen zu schaffen.

Korporatokratie ist ein sperriger, moderner Begriff. Ich habe einige Zeit gebraucht, bis ich ihn freihändig aufsagen konnte. Viele sagen lieber Korporatismus, jedoch wurde dieser Begriff historisch meist im Sinne einer offenen Partnerschaft von Wirtschaft und Politik benutzt, wohingegen die Korporatokratie von Hinterzimmerabsprachen geprägt ist.

Korporatokratie kommt vom lateinischen Wort für Körper und spielt auf Körperschaften an, die gemeinsam regieren. Körperschaften sind Organisationen, die einen bestimmten Zweck verfolgen und auch dann weiterbestehen, wenn sich ihre Mitgliederstruktur ändert. Das sind sowohl private Banken, Rüstungs-, Medien-, Energie- und Technologieunternehmen als auch staatliche Geheimdienste, Behörden und Institutionen. Denkfabriken gehören auch dazu – alle Akteure, die offen oder im Verborgenen an der tatsächlichen Regierung der Gesellschaft beteiligt sind. Wer eine Gesellschaft regiert, ist per Definition der Staat, deshalb verwende ich Korporatokratie und tiefer Staat synonym.

Das ist keine Gruppe von ein paar wenigen Erzbösewichten – jedenfalls nicht, dass ich wüsste –, sondern ein Milieu von mächtigen Interessengruppen, die alle wichtigen Fragen unter sich ausmachen, während das Volk nur wenig Einfluss auf politische Entscheidungen hat.

DW: Ist es nicht genau das, was inzwischen Hinz und Kunz unter den Begriffen Kapitalismus oder Neoliberalismus geißelt? Auch Klaus Schwab hält ja den Neoliberalismus für die Wurzel des aktuellen Übels und wirbt für ein neues, nachhaltiges Wirtschaften.

CS: Wenn du Leute auf der Straße fragst, was Kapitalismus ist, sagen sie „Gier, Ausbeutung und Profite über alles“. Jetzt frage ich dich, waren die Regierenden in sozialistischen Staaten etwa keine gierigen Ausbeuter, die stets auf ihren eigenen Vorteil bedacht waren?

Wenn du ein paar Wirtschaftslexika zurate ziehst und den Inhalt abkochst, bleiben für den Kapitalismus genau zwei Wesenszüge: Privateigentum und freier Markt. Alle haben das Recht, sich Privateigentum anzueignen und dies so zu nutzen, wie es ihnen beliebt, solange sie dabei nicht das Eigentum oder das Selbstbestimmungsrecht eines anderen verletzen. Selbstbestimmung und Herrschaft schließen sich gegenseitig aus. Kapitalismus in Reinform ist demnach Anarchie, die Ablehnung von Herrschaft. Im aktuellen Kontext von Kapitalismus zu sprechen, ist also ein weit verbreiteter Irrtum, ähnlich wie von Platzangst zu sprechen, wenn man Angst vor zu engen Räumen meint.

Neoliberalismus klingt zunächst, als würde sich dahinter mehr verbergen als hinter dem abgedroschenen Wort Kapitalismus, als wäre dieser Begriff erfunden worden, weil er noch präziser ist. Tatsächlich gab es jedoch noch nie eine klare Definition, der Begriff wurde endlos umgedeutet und ist dabei zu einem diffusen Kampfbegriff verkommen, auf den jeder seine Verachtung für die aktuellen Verhältnisse projiziert.

In der öffentlichen Debatte wird Neoliberalismus heute meist über ungezügelte freie Märkte und Privatisierungen von Staatseigentum definiert. Offensichtlich wissen die meisten nicht, was Markt bedeutet. Markt ist einfach nur das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage – freiwilliger Austausch. Ist freiwilliger Austausch charakteristisch für das heutige System? Wie sind die Banken so groß geworden oder die Rüstungs­unternehmen? Wir bezahlen die nicht freiwillig, sondern gezwungenermaßen. Staat und Unternehmenseliten arbeiten Hand in Hand, um zwischenmenschlichen Austausch – nichts anderes ist der Markt – zu ihren Gunsten zu manipulieren.

Was Privatisierungen angeht, so gibt es da verschiedene Modelle. Hier muss man unterscheiden. Du kannst Staatsvermögen privatisieren, indem du es gleichmäßig an alle Staatsbürger verteilst – beispielsweise pro Kopf oder im Verhältnis zu bereits gezahlten Steuern. Das wäre eine Privatisierung. Du kannst das Staatsvermögen aber auch an deine Kumpels verschenken – beispielsweise indem du die gesamte Wasserversorgung des Landes für läppische 20.000 Dollar an ein Konsortium verscherbelst, so geschehen 1999 in Bolivien. Auch das ist eine Privatisierung. Was die Korporatokratie ständig und überall abzieht, ist das zweite Modell. Wenn man nur auf Privatisierungen an sich schimpft, fehlt ein entscheidendes Element in der Analyse, nämlich die Privatisierung zugunsten einer staatsnahen Minderheit.

Klaus Schwab verwischt die Spuren der Koporatokratie, wenn er über den Neoliberalismus, den Kapitalismus und den freien Markt herzieht. Er verteufelt freiwilligen Austausch und Privateigentum – das ist ein Appell gegen individuelle Freiheit und für mehr zentrale Planung durch eine gütige Regierung zum Schutz des Menschen vorm Menschen. Das kommt bei vielen Systemkritikern gut an. Was dabei jedoch ständig übersehen wird, ist die Frage, wer uns dann vor der Regierung schützt.

DW: Hmm, okay. Aber irgendwie ist mir immer noch nicht klar, was genau den Neoliberalismus vom Liberalismus und Libertarismus unterscheidet.

Kommentare

15. Februar 2021, 08:35 Uhr, permalink

Karla

Wer von den prominenten Verfechtern der Dezentralisierung (des Libertarismus) hat konkret selbst in seinem Umfeld schon dezentrale Strukturen umgesetzt? Selbst in diesem System gibt es eine Reihe von Menschen, die sich schon seit Jahren/Jahrzehnten organisieren (etwa in selbstversorgenden Lebensgemeinschaften) statt andere mit Konzepten "wie es denn sein sollte" zu besamen. Ohne konkretes Handeln vor Ort bleiben Konzepte nur Konzepte. Inzwischen entscheiden ganze Apparate darüber, wo wer was anbauen darf, Leute, die vermutlich selbst noch nie einen Baum gepflanzt haben. Wenn wir mehr Rosenbeete wollen, müssen mehr Menschen Rosenbeete anlegen - sinnbildlich gesprochen. Die Anthroposophen z.B. sorgen seit Jahrzehnten dafür, dass wir überhaupt gesunde Lebensmittel haben. Die Industrialisierung hat ja erst wesentlich zur Entwurzelung und Entfremdung von natürlichen Rhythmen beigetragen. Wer dezentrale Strukturen möchte, was wichtig ist, kann sich dort engagieren, wo bereits Menschen für dezentrale Strukturen sorgen. Dann kann das "alte System" schrittweise obsolet werden. Das ist weniger ein intellektueller Vorgang, sondern einer, der durch konkretes Handeln vor Ort "in die Materie" gebracht wird. Die Regierung spiegelt womöglich auch nur als "Konglomerat" das Massenbewusstsein wider. Zu beklagen, was man nicht mehr will, ist immer einfacher, als selbst neue Ideen umzusetzen. Schreibtischtäter verändern weniger als jene, die ein Stück Land liebevoll bearbeiten.

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