Die ketogene Diät - ein kritischer Blick

Es kursieren unzählige Ernährung­svorschriften, um Krebs und anderen Zivilisationskrankheiten entgegenzuwirken. Als neuester Trend wird die ketogene Diät gehandelt, die auf einem kohlenhydratarmen, fettreichen Speiseplan basiert. So neu ist ihr Konzept allerdings gar nicht, und beim genauen Hinsehen offenbart auch die ketogene Kost ihre Tücken. Eine Bestandsaufnahme.

Aufstieg und Fall der „Krebswunder“

In den letzten Monaten haben viele Leute – Patienten, Freunde, Kollegen, Fremde – mein Büro kontaktiert und gefragt, was ich von der „ketogenen Diät“ gegen Krebs halte, die von Dr. Thomas Seyfried propagiert wird. Diese Therapie scheint momentan sowohl in der alternativen als auch in der konventionellen Medizin für Aufregung zu sorgen. Viele haben um eine ausführliche Antwort gebeten, da Dr. Seyfrieds These unserem Ansatz, mit dem wir Patienten seit 26 Jahren behandeln, völlig zuwiderläuft. Nachdem ich das Thema gründlich studiert hatte, entschloss ich mich, einen ausführlichen Bericht darüber zu publizieren.

Einleitend möchte ich aufzeigen, dass die Welt der Krebsforschung und -medizin durchsät ist mit verworfenen Theorien und obsoleten Therapien – die alle irgendwann einmal als das nächste vielversprechende Wunder und als endgültige Antwort auf diese verwirrende und tödliche Krankheit galten. In meinem eigenen Berufsleben habe ich eine ganze Anzahl von „Krebswundern“ kommen und gehen sehen, manchmal in stürmischer Folge und zuweilen begleitet von überbordender Hysterie in den Medien. Zu einem der ersten „Wunder“, an das ich mich erinnern kann, kam es 1980, als ich Medizinstudent im ersten Jahr in Cornell war. Damals war es laut Presse und Fachzeitschriften das magische Interferon, ein Immunstimulans, das Krebs in die Knie zwingen sollte. Es dauerte nicht lange, bis sich Interferon als Reinfall herausstellte, seine Verheißung und sein Ruhm stiegen und fielen wie ein Wagen in der Achterbahn.

Nur fünf Jahre später erlebte ich eine noch außergewöhnlichere Situation. Ich hatte zu dieser Zeit meine Medizin-Grundausbildung abgeschlossen und lebte in Florida, wo ich mein Stipendium in Immunologie abschloss – unter Dr. med. Robert A. Good, der auch als „Vater der modernen Immunologie“ bezeichnet wurde.

Das Jahr 1985 neigte sich gerade dem Ende zu, als die Presse die Geschichte über das nächste Krebswunder aufgriff. Ich saß in meiner Wohnung mit Blick auf die schöne Tampa Bay, als ich die Titelseiten der entsprechenden Zeitungen las. Dr. Steven Rosenberg war bereits damals weithin als Chirurg von Ronald Reagan bekannt – der Präsident hatte einen bösartigen Polypen – und darüber hinaus ein renommierter Grundlagenforscher. Er leitete eine Abteilung im National Cancer Institute (NCI, nationales Krebs-Institut) in Bethesda, Maryland. In einer Pressekonferenz hatte er der Welt gerade die Resultate seiner Pilotstudie mit einem neuen Immunmodulator namens Interleukin-2 vorgestellt – und die Ergebnisse lösten einen unglaublichen Medienrummel aus.

Die anfänglichen, mit Inbrunst verkündeten Äußerungen ließen vermuten, dass wir – ja, tatsächlich, nach so vielen Enttäuschungen – endlich eine echte, universelle Krebstherapie in Aussicht hatten. Sowohl im Labor als auch in den ersten Vorstudien am Menschen hatte Interleukin-2 eine fast schon magisch zu nennende Wirkung auf selbst die aggressivsten Krebsformen, wie metastatische Melanome und metastatischen Nierenkrebs – wie zuvor Interferon, eine natürliche Substanz, die von Lymphozyten abgesondert wird und andere krebsbekämpfende Immunzellen anregt.

Dr. Rosenbergs „Wunder“ war allgegenwärtig, in den Printmedien, den lokalen und nationalen Nachrichten und in einem ausführlichenNewsweek-Artikel, der am 16. Dezember 1985 erschien. Auf dem Cover prangte ein weiß-bekittelter Dr. Rosenberg, der konzentriert in die Welt blickte. Der Artikel selbst war in großen, fetten Lettern mit „Suche nach einer Heilung“ betitelt und umfasste sechs Seiten. Dazu gab es Fotos von Dr. Rosenberg, eines mit einem Patienten, und ein anderes, das ihn als ernsten Wissenschaftler im Labor zeigte. Aufwändige Farbgrafiken veranschaulichten den Text, stellten die komplizierten Mechanismen des Immunsystems dar und präzisierten die Funktion des Interleukin-2, das durch die leitende Hand von Dr. Rosenberg die bösartige Krankheit bekämpfen konnte. Ein separater Abschnitt trug die Überschrift „Der Aufstieg eines Superstars – vom Reagan-Chirurg zum Spitzenforscher“ und erzählte die beeindruckende Lebensgeschichte von Dr. Rosenberg.Eine bessere Werbung konnte man für Geldnicht kaufen.

Am Ende des Artikels fügten die Verfasser noch einen kurzen Abschnitt mit dem Titel „Interferon: ein warnendes Beispiel“ an, der die Leser an die Aufregung über jenen anderen Immunmodulator gemahnte, der schon vor fünf Jahren die gesamte Welt der Krebsforschung in Aufregung versetzt hatte. Dieser Essay, der auf den enthusiastischen Hauptartikel folgte, begann so:

„Für einige Ohren hat die Aufregung über Interleukin-2 in der letzten Woche einen vertrauten, jedoch misstönenden Beiklang. Etwas Ähnliches geschah vor ungefähr fünf Jahren mit einer Substanz namens ‚Interferon‘, die auf Titelseiten und in Artikeln unter Überschriften wie ‚Um Ihr Leben zu retten – und das Ihrer Angehörigen‘ als ‚Wunderwaffe‘ der Krebsforschung gepriesen worden war […] aber im Jahr 1984 hatte sich die Wunderwaffe als Fehlzündung entpuppt; jetzt trugen die Artikel Überschriften wie ‚Mythos Interferon‘.“

Über die Jahre war ich mit der Interferongeschichte bestens vertraut geworden, da mein Chef, Dr. Good, einen Großteil der Pilotforschung geleistet hatte, die Interferon mit einem möglichen Antikrebseffekt verband.

Zu jener Zeit kannte ich Dr. Good schon recht gut: Während des zweiten Jahrs meiner medizinischen Ausbildung hatte Dr. Good, damals Professor in Cornell und Direktor des Sloan-Kettering-Instituts, mich als wissenschaftliches Küken unter seine Fittiche genommen. 1982 allerdings, in meinem dritten Jahr an der medizinischen Hochschule, beschloss die Führung des Instituts zu meinem Entsetzen, ihn ohne viel Federlesens vor die Tür zu setzen. Danach verbrachte er einige Zeit an der Universität von Oklahoma, wo er eingestellt wurde, um eine Krebsforschungsabteilung aufzubauen. Später wechselte er ans All Children’s Hospital in St. Petersburg, wo er wiederum eine Krebs-Forschungsstation für Knochenmark-Transplantationen ins Leben rief.

Als die Nachrichten über Interleukin-2 zum ersten Mal Schlagzeilen machten, besprach ich dieses neue „Wunder“ mit Dr. Good, der durch seine jahrelange Berufserfahrung und zahlreiche ähnliche Ankündigungen, auf die regelmäßig Ernüchterung in der Forschergemeinde gefolgt war, recht vorsichtig geworden war.„Schauen Sie sich die Daten an, immer nur die Daten,“sagte er, „und nicht die Medienberichte.“ Ich folgte seinem Rat, stöberte die ursprünglichen klinischen Daten auf, studierte diese – und war überrascht, wie unbeeindruckend sie waren. Wenn ich mich recht entsinne, hatten in den ersten unkontrollierten Studien von mehr als 100 teilnehmenden Patienten nur drei irgendeine signifikante oder dauerhafte Reaktion erlebt.

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In den folgenden Monaten machten dann in der Forschungsgemeinschaft auch noch Berichte über die enorme Toxizität und sogar Todesfälle die Runde, was weiter dazu beitrug, die anfängliche Euphorie zu dämpfen. Und im Vergleich zu anderen Wundern war es nicht gerade billig: Die hochgiftige Droge war derart gefährlich, dass sie nur unter strenger Aufsicht in einem Krankenhaus verabreicht werden konnte, und die Kosten dafür beliefen sich auf $ 100.000 für einen Behandlungszyklus von einer Woche.

Trotz der frühen Warnzeichen setzten die Medien ihre Kampagne für Interleukin-2 mehrere Jahre lang fort. Im Jahr 1992, möglicherweise eher aufgrund politischen Drucks als aufgrund der wissenschaftlichen Beweislage, genehmigte die FDA die Droge für die Anwendung gegen Krebs, trotz der fehlenden kontrollierten Versuchsreihen. Schließlich zeigte Ende 1998 eine klinische Studie – die etwa 13 Jahre nach den ursprünglichen Berichten abgeschlossen wurde –, dass Interleukin-2, zumindest bei fortgeschrittenem Nierenkrebs, nicht besser wirkte als ein Placebo. Es wird noch eingesetzt, aber immer seltener, und ich kenne niemanden, der darüber mit großer Begeisterung spricht.

Kommentare

27. Januar 2019, 11:11 Uhr, permalink

Pat Buchtmann

Vielen Dank für den interessanten Artikel. Allerdings kann ich den vollständigen Namen des Autoren nicht finden (Dr Gonzalez?) oder Referenzen zu den im Artikel erwähnten Studien bzw. Literatur

27. Januar 2019, 11:16 Uhr, permalink

ein Redaktionsmitarbeiter

@Pat Buchtmann
hier gelangen Sie zur Autorenseite von Dr. Nicholas J. Gonzales mit weiteren Informationen: www.nexus-magazin.de/artikel/autor/dr-nicholas-j-gonzalez
Eine Infobox über den Autor befindet sich rechts neben unseren Artikeln. Falls sie von einem Smartphone zugreifen, kann es je nach Displaygröße passieren, dass diese Box aus Platzmangel nicht angezeigt wird.

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