Die ketogene Diät - ein kritischer Blick

Es kursieren unzählige Ernährung­svorschriften, um Krebs und anderen Zivilisationskrankheiten entgegenzuwirken. Als neuester Trend wird die ketogene Diät gehandelt, die auf einem kohlenhydratarmen, fettreichen Speiseplan basiert. So neu ist ihr Konzept allerdings gar nicht, und beim genauen Hinsehen offenbart auch die ketogene Kost ihre Tücken. Eine Bestandsaufnahme.

Anfang der 1990er, als Onkologen sich gerade von Interleukin-2 verabschiedeten, gerieten Knochenmark-Transplantationen als Lösung für Krebs mit schlechter Prognose und für metastasierenden Brustkrebs in die Schlagzeilen. Sie wurden als Heilmethode für diese hässliche Krankheit angepriesen, die so viele Frauen in der Mitte ihres Lebens traf. Trotz kompletten Mangels an überzeugenden Beweisen für diese Indikation wurden Knochenmark-Transplantationen als Lösung für die tödlichsten Brustkrebsarten hochgejubelt. Zuerst lehnten Versicherungsgesellschaften jedoch ab, für diese ungeprüfte und äußerst kostspielige Behandlung zu zahlen, die in jenen Tagen bis zu $ 500.000 und mehr kosten konnte.

Begeisterte Onkologen taten sich dennoch mit den Medien zusammen und bezeichneten Versicherungsgesellschaften als herzlose, gierige Tyrannen, die Frauen mit Brustkrebs die heilende Behandlung vorenthielten. Nicht lange danach schalteten sich die Strafverteidiger ein und inszenierten im Namen der Frauen, die eine Knochenmark-Transplantation wünschten, eine Reihe von gerichtlichen Klagen gegen verschiedene Versicherungsgesellschaften. In einem bemerkenswerten und bezeichnenden Fall musste sich der Versicherer HealthNet gegenüber einer Frau namens Nelene Fox verantworten, bei der Brustkrebs diagnostiziert worden war und deren Versicherung sich geweigert hatte, die Behandlungskosten zu übernehmen. Die Jury sprach der Zivilklägerin 89 Millionen Dollar zu, einschließlich 77 Millionen an Strafschadensersatz. Unter diesem Druck gab die Versicherungsbranche nach: Es war preiswerter, die $ 100.000, 200.000 oder 500.000 pro Behandlung zu zahlen, statt einen solch massiven finanziellen Schaden zu riskieren.

Nachdem sich etwa 40.000 Frauen dem Verfahren unterzogen hatten – in dieser Zeit starben zehn bis 30 Prozent der Patientinnen allein an den Folgen der Behandlung –, wurde schließlich nachgewiesen, dass es wirkungslos ist. Eine herausragend positive Studie von 1995, die berüchtigte Südafrikastudie von Dr. Bezwoda, stellte sich bei genauerer Prüfung als kompletter Betrug heraus. Der kreative Forscher hatte die Daten einfach erfunden. Falls es Sie interessiert: Im ausgezeichneten und gleichzeitig beängstigenden Buch „False Hope“ (Oxford University Press, 2007) wird das Fiasko um die Knochenmarksverpflanzung bei Brustkrebs ausführlich beschrieben.

Als diese Schlachten in den frühen 1990er Jahren geschlagen wurden, hatte ich die Gruppe von Dr. Good schon lange verlassen und war nach New York in meine private Praxis zurückgekehrt. Dennoch hatte diese Geschichte für mich einen persönlichen Beigeschmack, da Dr. Good 1969 die erste Knochenmark-Transplantation der Geschichte durchgeführt und damals auch gehofft hatte, diese Methode könnte sich als eine Antwort auf Krebs erweisen. Unter seiner Anleitung lernte ich während meines Stipendiums, wie diese sehr komplizierte und oft tödliche Prozedur durchgeführt wird.

Doch nur keine Sorge: Immer wartet hinter der nächsten Ecke ein neues Wunder. Im Jahr 1998 jubelten die Presse- und Fernsehreporter wieder einmal über die neueste „endgültige“ Lösung für Krebs. Vom Rummel um Interferon, Interleukin-2 und Knochenmark-Transplantationen hatten sie sich inzwischen allesamt klammheimlich verabschiedet. Stattdessen galt ihre Aufmerksamkeit nun der Anti-Angiogenese, die auf der bahnbrechenden Arbeit des inzwischen verstorbenen Dr. Judah Folkman aus Harvard basierte.

Dr. Folkman hatte den Prozess der Angiogenese in Krebsgeweben jahrzehntelang studiert: die Bildung neuer Blutgefäße, durch welche die Tumoren schnell anwachsen und normale Gewebe und Organe mit tödlicher Wirkung befallen können. Ohne ausreichende Blutversorgung können Krebstumoren nicht über einen Kubikzentimeter Größe hinauswachsen. Er hatte zwei Medikamente entwickelt, Angiostatin und Endostatin, die in Tierexperimenten Tumoren schrumpfen ließen, indem sie die Bildung neuer Blutgefäße blockierten und damit die Krebszellen aushungerten. Im November 1998 präsentierte Dr. Folkman seine Arbeit bei den National Institutes of Health (NIH) in Bethesda, Maryland, und verkündete der Welt, dass zumindest bei Mäusen „kein Tumor gefunden wurde, der nicht zurückgebildet werden konnte.“

Zwar basierte Dr. Folkmans Forschung vollständig auf Laborexperimenten und Untersuchungen an Tieren, doch die mächtige Publicity-Maschinerie des Nationalen Krebsinstituts NCI nahm sich der Sache an. Wieder roch es verdächtig nach „Wunder“ – trotz jeglichen Mangels an Beweisen, dass Folkmans Anti-Angiogenese-Mittel überhaupt gegen menschlichen Krebs wirksam war. Aber da das NCI und die NIH mit an Bord waren, befanden sich bald sämtliche Medien, ob groß oder klein, lokal oder national, erneut in einem Rauschzustand.

Ich erinnere mich noch sehr gut, wie ich zu dieser Zeit in meinem Büro im Zentrum von Manhattan saß und den berühmten Leitartikel derNew York Timesvom 3. Mai 1998 las (der obere linke Bereich der Titelseite ist reserviert für Kriege, Revolutionen und, ja: Wunder). Darin präsentierte die Reporterin Gina Kolata Folkmans vorläufige Ergebnisse der Welt. Sie beschrieb die Anti-Angiogenese in einem Tonfall, den der eher skeptische Journalist Jack Breibart als „atemlos“ bezeichnete.

Kolata zitierte keine geringere Autorität als Dr. James Watson, dem 1962 zusammen mit seinem Kollegen Francis Crick für die Entdeckung der DNS-Struktur der Nobelpreis verliehen worden war. „In zwei Jahren wird Judah Krebs heilen“, sagte Watson zu Kolata. Eine bessere Quelle und einen endgültigeren Ausspruch hätte man nicht finden können.

Weiter hieß es in Kolatas haltlosem Bericht:

„Dr. Watson sagte, man würde sich später an Dr. Folkman wie an einen Wissenschaftler vom Format eines Charles Darwin erinnern, als jemanden, der die Zivilisation grundlegend verändert hat.“

Die Verfasserin zitierte auch einen enthusiastischen Richard Klausner, MD, damals Direktor des NCI, der der Welt versicherte: „Nichts hat für mich höhere Priorität, als dies mit klinischen Studien belegen zu lassen.“

Es folgten glamouröse Fernsehberichte über das Thema, einschließlich einer denkwürdigen ABC-Sendung zur besten Sendezeit, die vom inzwischen verstorbenen Peter Jennings moderiert wurde. Themenberichte anderer Fernsehanstalten folgten stehenden Fußes. Nicht allzulang darauf jedoch sprach es sich herum, dassTimes-Reporterin Kolata ihren Agenten Verlage abklappern hatte lassen, um eine Buchidee über das Thema Anti-Angiogenese und Krebs zu verkaufen. Ihr Agent hatte laut damaligen Berichten schon am Tag nach der Times-Geschichte damit begonnen, ein Exposé herumzureichen und hatte einen Vorschuss von zwei Millionen Dollar gefordert. Die ganze Episode sorgte für einiges Stirnrunzeln, da eine Journalistin persönlichen Nutzen aus einem Thema zu ziehen versuchte, das sie in der Nachrichten-Sektion der Times propagiert hatte. Nach reichlicher Kritik zog Kolata ihren Buchvorschlag zurück.

Wie Dr. Klausner versprochen hatte, beförderte das NCI eine einleitende Endostatin-Studie an menschlichen Patienten „auf die Überholspur“, vermutlich im Zuge der nationalen und internationalen Hoffnungs- und Begeisterungsexplosion. Das Institut beabsichtigte, sehr schnell 70 Probanden für die Studie zu rekrutieren. Was mich aber überraschte – und was auch andere meiner Kollegen in der medizinischen Gemeinschaft zu beunruhigen begann –, war das eisige Schweigen über die Resultate dieser Studie. Es machte den Eindruck, als wolle man die tatsächlichen Daten unter den Tisch kehren. Letztlich wurden die Studienergebnisse dann veröffentlicht, und es zeigte sich, dass am Ende 42, nicht die geplanten 70 Probanden für den Versuch rekrutiert worden waren, und dass nicht ein einziger von ihnen auf das Medikament angesprochen hatte. Ironischerweise verstarb Jennings, der die Therapie mit ungebremster Begeisterung angepriesen hatte, selbst an Lungenkrebs, nur wenige Monate nach der Diagnose im Jahr 2005. Auch Folkman ist inzwischen verstorben, ohne seine Hoffnung einer krebsfreien Welt dank Anti-Angiogenese verwirklicht zu sehen.

Kommentare

27. Januar 2019, 11:11 Uhr, permalink

Pat Buchtmann

Vielen Dank für den interessanten Artikel. Allerdings kann ich den vollständigen Namen des Autoren nicht finden (Dr Gonzalez?) oder Referenzen zu den im Artikel erwähnten Studien bzw. Literatur

27. Januar 2019, 11:16 Uhr, permalink

ein Redaktionsmitarbeiter

@Pat Buchtmann
hier gelangen Sie zur Autorenseite von Dr. Nicholas J. Gonzales mit weiteren Informationen: www.nexus-magazin.de/artikel/autor/dr-nicholas-j-gonzalez
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