Künstlicher Kalkstein: Mythos oder möglich?

Man nehme 100 Gramm Kalksteinpulver, ein paar Gramm Kaliumhydroxid-Flocken und etwas Wasser, vermische das Ganze, gieße es in eine Form und warte. Taadaa! Nach einer Woche ist der Kalkstein fertig. Geht nicht? Probieren Sie es. Der Italiener Marcell Fóti war neugierig und hat es getan. Die Ergebnisse seiner Experimente werfen ein neues Licht auf die Steinmonumente der alten Hochkulturen. Wurden die Granit- und Kalksteinblöcke von Pyramide & Co. etwa gegossen? Chemisch ist es definitiv möglich, und auch die Beobachtungen und Messungen vor Ort geben zu denken – wenn sie nicht als Beweis durchgehen. Ist damit ein oft beschworenes Rätsel der Vergangenheit gelöst?

Wissenschaftlich lässt sich das leicht erklären: Kalkstein, der sich am Meeresgrund ablagert, enthält kein Salz, weil Kochsalz (Natriumchlorid) extrem gut wasserlöslich ist. Es trennt sich nicht einfach so vom Wasser, sondern wird von diesem fortgetragen. Davon kann man sich auch direkt am Strand überzeugen, egal wo auf der Welt. Schauen Sie sich Felsen, Boote oder Hafenmauern an: nirgendwo Salzkrusten. Salz trennt sich nur unter Zwang vom Wasser – durch Verdunstung in Salinen zum Beispiel. Anders geht es nicht.

Ja, gut – das Tote Meer. Dort gibt es hier und dort Salzablagerungen. Aber das ist eben auch eine gigantische Saline – kein normales Meer!

Dasselbe gilt übrigens auch für Kaliumverbindungen: Auch die sind viel zu wasserlöslich, um sich auf dem Meeresboden abzulagern und im Kalkstein zu landen. Dieses Wissen brauchen wir später noch.

Zurück zu Davidovits’ Rezept: Der springende Punkt ist, dass das Salz in den Pyramidensteinen nicht von außen stammt, sondern sich durch die chemische Reaktion der Ausgangsstoffe im Inneren gebildet hat. Davidovits hat eine recht komplexe Formel veröffentlicht, und wer diese befolgt, erhält am Ende einen künstlichen Stein, der chemisch identisch ist mit den inneren Steinblöcken der Cheopspyramide.

kalksteinrezept

Einer der verwendeten Stoffe ist Natron – ein natürliches Salz, das die alten Ägypter für alles Mögliche nutzten, von der Zahnreinigung bis hin zum Mumifizieren. Dieses Natron bildet in Kombination mit Kalkerde (Calciumoxid) eine Art geopolymerartige Bindung im Kalksteinpulver, die das Ganze wieder zu einem festen Kalksteinblock zusammenfügt.

„Aber künstlichen Kalkstein gibt es doch gar nicht wegen Meeresboden, Druck, Millionen Jahren und bla, bla, bla …“

Kurioserweise stimmt das sogar. Den exakt gleichen Stein kann man unter Oberflächenbedingungen tatsächlich nicht nachbauen. Aber darum geht es ja auch nicht. Es ist nicht derselbe Stein, sondern ein chemisch neu zusammengeklebter Kalkstein. Und das „Kleben“ übernimmt dabei das während der Reaktion entstehende Natriumhydroxid, das – wie gesagt – einen neuen Stoff schafft: ein Kalkstein-Geopolymer. Ja, so etwas existiert. Es lässt sich analysieren, messen, aufschlüsseln. Das eigentlich unmögliche Salz im Pyramidenstein.

Nein, das lässt sich nicht auf eine Überschwemmung zurückführen. Kein Hochwasser dieser Welt könnte mit dem Meer konkurrieren, unter dem der Kalkstein Abermillionen Jahre lag, ohne auch nur ein bisschen Salz aufzunehmen. Man könnte die Pyramiden mit so viel Salzwasser übergießen, wie man wollte – kein äußerer Einfluss würde den Kalkstein salzig werden lassen.

Wie haben unsere Vorfahren das Rezept für Kalkstein entdeckt?

Nachdem ich mich mit Davidovits’ Rezept auseinandergesetzt hatte, begann ich mich zu fragen: Wie waren die alten Ägypter auf eine derart komplexe Formel gekommen? Schließlich handelt es sich dabei um einen relativ komplexen Prozess, mindestens auf Niveau der Schulchemie! Dafür ist schon ein beachtlicher Wissensstand vonnöten.

Nach langem Grübeln kam ich zu folgendem Schluss: Wie hat die Menschheit den Wein entdeckt? Durch Zufall. Reinen Zufall. Irgendwann ließ irgendjemand irgendwo eine Schale mit Früchten stehen, die vor sich hin goren, eine Frau verfütterte das vergorene Zeug an ihre Hühner und die fingen an, wie betrunkene Matrosen herumzueiern. „Na, so was“, dachte sich der Mensch. „So torkeln will ich auch!“

Aus diesem ersten Zufall entwickelte sich über Jahrhunderte hinweg durch bewusstes Probieren und Herum­experimentieren eine mehr oder weniger systematische Weinkultur mit Holzfässern, Weinkellern usw. Das Wissen, wie genau all das funktioniert, bewegte sich jedoch weiterhin auf einem ziemlich infantilen Niveau.

Der Bauer wusste nicht, dass die Gärung durch Hefe­pilze verursacht wird, er wusste nicht, dass beim Gären durch die Bildung von CO2giftige Gase entstehen, und er war felsenfest überzeugt, dass er dem „Kellergeist“ seinen Erfolg verdankte. Heute wissen wir natürlich, dass einfach konstante 16 Grad Celsius den kleinen, aber feinen Unterschied ausmachen. Keine esoterischen Kellergeister, nur reine Physik. Der beste Beweis dafür sind unsere heutigen hochmodernen Weingüter mit Gärtanks aus Edelstahl und Kühlsystemen, die sich kaum stärker von den damaligen Kellerhöhlen unterscheiden könnten.

Aber zurück zu den Steinen.

Die Sache ist: In den zigtausend Jahren unserer Menschheitsgeschichte besitzen wir gerade einmal seit 50 bis 60 Jahren das wissenschaftliche Know-how, um wirklich zu verstehen, was einen guten Wein ausmacht – abgesehen von guten Trauben natürlich. Trotzdem wurde in all den Jahrtausenden zuvor schon hervorragender Wein hergestellt – quasi im Blindflug, nur durch Erfahrung und Ausprobieren.

Und genau so ist es auch mit dem künstlichen Stein. Sie fragen sich jetzt bestimmt: Wie kann man so etwas wie einen geopolymerartigen, neu verklebten Kalkstein zufällig entdecken?

Seit Jahrtausenden benutzen wir Menschen Feuer. Schon damals, als wir noch unter freiem Himmel lebten, weshalb unsere Vorfahren quasi überall Feuer gemacht haben: auf fruchtbarem Boden (im Wald), auf felsigem Untergrund (zum Beispiel in einer Kalksteinhöhle) und auch auf Berggipfeln (sagen wir mal: Granit).

selbst hergestellter kalksteinblock

Abb. 5: Selbst hergestellter Block aus künstlichem (also „unmöglichem“) Kalkstein (Bild: Fóti)

kalkstein mit abdrücken

Abb. 6: Kalkstein mit Abdrücken (Bild: Fóti)

Da es in diesem Artikel aber um künstlichen (also „gefälschten“) Kalkstein geht, bleiben wir bei den Feuern, die auf kalksteinhaltigem Boden entzündet wurden.

Kleiner Exkurs: Unser Planet ist verdammt alt. Ungefähr vier Milliarden Jahre. Da überrascht es kaum, dass die meisten Gesteine auf der Erde ziemlich zerbrochen oder sogar ganz zerbröselt sind. Die meisten gehen zwar davon aus, dass in Steinbrüchen schöne Platten aus Granit, Marmor oder Kalkstein abgebaut werden – in Wirklichkeit aber gewinnt man in 95 Prozent der Steinbrüche vor allem Schutt und Staub, weil es eben das ist, was es dort gibt. Kein Witz, das lässt sich leicht nachprüfen.

Was ich damit sagen will: Wenn Sie jetzt glauben, dass das, was ich Ihnen erzählt habe, nicht stimmen könnte, weil man ja zuerst das seltene Steinpulver künstlich herstellen müsse, dann sind Sie auf dem Holzweg. Im Gegenteil: Große,intakte Steinblöcke sind ein wirklich seltenes Gut, nach dem man gezielt suchen muss. Ja, im Dinarischen Gebirge gibt es eine Menge davon, aber das gilt eben nicht für alle Gegenden. Steinpulver hingegen liegt überall herum. Man stolpert förmlich darüber, wirbelt es auf, und mancherorts gibt es so viel davon, dass man gar nicht weiß, wohin damit.

HandspektrometerTürsturzmessung

Abb. 7: RFA-Handspektrometer im Einsatz. Rechts die Ergebnisse der Türsturzmessung. (Bild: Fóti)

Zurück zum Thema: Unsere Vorfahren machen also auf einem natürlichen, von Kalksteinbruchstücken und mit Kalkpulver durchsetzten Boden ein Feuer. Dafür nehmen sie natürlich Holz, das abbrennt. Was übrig bleibt, ist Asche. Und nun?

Jetzt kommt der Regen ins Spiel. Das Regenwasser wäscht die wasserlöslichen Bestandteile der Asche aus – vor allem zwei der üblichen Verdächtigen: Kalium- und Natriumverbindungen. Kalium kommt als essenzielles Spurenelement für den Pflanzenstoffwechsel in allen Pflanzen vor. Natrium hingegen findet sich nur in salztoleranten Pflanzen – das lassen wir jetzt mal außen vor.

Wenn das Regenwasser mit Kaliumoxid aus der Asche in Berührung kommt, entsteht Kaliumhydroxid (KOH). Und bei Kaliumhydroxid handelt es sich um eine starke Lauge – nichts, worin man ohne Handschuhe herumwühlen sollte. Seifensieder, die Asche auslaugen, wissen nur zu gut, dass es aus allem Seife macht.

Und wie sein naher Verwandter Natriumhydroxid ist auch Kaliumhydroxid ein bekanntes geopolymerbildendes Mittel.

Jetzt fehlt nur noch ein nicht ganz trivialer Schritt, den ich vorhin bei meinem Bericht über die Pyramidensteine ein wenig vernachlässigt habe: Wie genau bildet die Lauge aus Kalksteinpulver ein Geopolymer? Durch die sogenannte Zementation.

Tatsächlich enthält Kalkstein immer irgendwelche Verunreinigungen – und genau die sorgen dafür, dass aus Pulver überhaupt ein Stein wird. Wenn ein Kalkstein völlig rein ist, dann ist er gleichzeitig weich. Erst die Verunreinigungen machen ihn hart.

Und Kaliumhydroxid (sowie Natriumhydroxid) löst genau diese Verunreinigungen auf und bindet sie neu – es „zementiert“ das Kalkpulver also erneut zu einer festen Masse.

Was passiert nun nach dem ersten Regen? Erst einmal noch nicht viel. Aber ein bisschen Kaliumhydroxid sickert bereits aus der Asche ins Kalksteinpulver, und dort wird langsam der Zementationsprozess in Gang gesetzt. Noch nichts Spektakuläres.

Unsere Vorfahren machen wieder Feuer an derselben Stelle, das brennt wieder nieder – dann kommt wieder der Regen. Noch mehr Kaliumhydroxid sickert ins Kalksteinpulver. Wenn das sechs- bis achtmal passiert, bildet sich unter der Feuerstelle eine feste Kalksteinschicht – eine Art „Kalkstein-Pfannkuchen“. Das Kalkpulver ist wieder zu einem festen Ganzen zusammengewachsen.

Und jetzt trennt uns nur noch ein kleiner Schritt zum gezielten Experimentieren mit künstlichem Kalkstein. Woher kommt dieser seltsame Pfannkuchen unter der Feuerstelle? Wer hat ihn dort hingelegt? Niemand? Dann ist er vielleicht direkt dort entstanden? Aber wie? Und woraus?

Ich bin übrigens selbst über unzählige Wanderwege durch den Wald gezogen und habe unter alten Feuerstellen nach solchen Kalksteinpfannkuchen gesucht – und bin tatsächlich fündig geworden! Dieses Phänomen tritt auch heute noch auf: Wenn es auf Asche regnet, löst sich Kaliumhydroxid und sickert in Richtung Erdmittelpunkt.

In Abbildung 3 ist ein wunderschönes Exemplar eines solchen künstlichen Kalksteins, das ich tief unter der Asche in einem nahen kleinen Waldstück gefunden habe. Sieht doch aus wie ein Hundehaufen, oder? Ist aber keiner!

Ich selbst glaube ohne Beweise ja grundsätzlich nichts und niemandem, nicht einmal mir selbst. Und das sollten Sie auch nicht, solange ich nicht langsam mit Beweisen um die Ecke komme.

Also aufgepasst! Ich versuche gerade unter Laborbedingungen, mit dem oben beschriebenen Verfahren (Kalksteinpulver, darauf Asche, darauf Regen) künstlichen Kalkstein herzustellen. Die sechs kleinen Becher in Abbildung 4 habe ich alle zur Hälfte mit Kalksteinpulver und zur Hälfte mit Asche gefüllt und dann ordentlich mit Wasser durchtränkt. In diesem Experiment werde ich es insgesamt sechsmal „regnen“ lassen.

Nach jedem „Regen“ lasse ich das Ganze erst einmal gut durchtrocknen, damit sich alles verbinden kann, was sich verbinden will. Pro Runde opfere ich einen Probenbecher: Ich nehme das kleine Kalksteinstück vom Boden des Bechers und teste seinen Härtegrad. Nach dem sechsten Regen werden meine Becher dann aufgebraucht sein.

Das Experiment ist noch nicht abgeschlossen – bisher habe ich es zweimal „regnen“ lassen –, aber eines kann ich jetzt schon sicher sagen: Bereits nach dem ersten Regen hat sich das Kalksteinpulver zu einer Art härterer Pampe verbunden. Noch kein Stein, aber deswegen habe ich ja sechs Becher: damit es sechsmal regnen kann.

Genau genommen ist das Experiment überflüssig, denn ich weiß bereits, dass Kalksteinpulver sich mit Kaliumhydroxidlösung zu einem festen Stein verbindet – ich habe es schon mehrfach ausprobiert. Mit meinem Becherversuch möchte ich lediglich überprüfen, ob man künstlichen Kalkstein auch völlig zufällig entdecken könnte.

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