Wissenschaftler wie Dan Baker, Direktor des Labors für Atmosphären- und Weltraumphysik an der University of Colorado, sind der Ansicht, dass der Rand dieser künstlichen Blase fast genau mit der Innenseite des Van-Allen-Gürtels abschließt, und sie vermuten, dass einfallende Sonnenstrahlungsteilchen durch die Längstwellen abgelenkt werden könnten. Satellitendaten zufolge ist der Rand des Strahlungsgürtels heute viel weiter von der Erde entfernt als noch in den 1960er Jahren, als wir weniger VLF-Übertragungen hatten. Dan Baker vermutet, dass sich der Strahlungsgürtel der Erde annähern würde, wenn es keine Längstwellen gäbe. Im Jahr 2017 stellte die NASA per Website und Video die Ergebnisse einer Abhandlung mit dem Titel „Anthropogenes Weltraumwetter“ vor, deren Autoren diese durch Längstwellen verursachte Blase beschreiben.4
Abb. 3: VLF-Sender mit höherer Leistung, die rund um die Erde verteilt sind. Drei davon machen 50 Prozent der gesamten Längstwellenleistung aus und dominieren die Wechselwirkungen der Wellen und Teilchen in der inneren Magnetosphäre: NWC (Australien), NAA (USA) und DHO (Deutschland).
Die künstliche Blase aus VLF-Wellen schirmt aber nicht nur Sonnenstrahlung ab, sondern führt auch dazu, dass sich die in der Magnetosphäre eingeschlossenen Elektronen in die obere Atmosphäre absetzen bzw. niederschlagen. Der Prozess nennt sich TIPER, kurz für Transmitter Induced Precipitation of Electron Radiation oder „funkinduzierter Niederschlag von Elektronenstrahlung“. Diese „Killerelektronen“, wie sie die VLF Group von der Stanford University bezeichnet, können die empfindliche Elektronik von Satelliten beschädigen und ein Gesundheitsrisiko für Astronauten darstellen, die den Strahlungsgürtel und Gebiete mit hohem Elektronenfluss durchqueren.
Schon früh erkannte man, dass VLF-Funkwellen für die Kommunikation über große Entfernungen nützlich sind, da sich solche niederfrequenten Funkwellen horizontal über dem Boden ausbreiten und zwischen der leitfähigen Ionosphäre und der Erde in Zickzackbewegungen auf und ab hüpfen. Normalerweise würde die Ionosphäre die Radiowellen reflektieren und sie somit daran hindern, 5.000 bis 20.000 Kilometer in den Weltraum zu entweichen. Während des Ersten Weltkriegs wurde jedoch entdeckt, dass einige dieser Radiowellen tatsächlich über die Ionosphäre hinaus in die Magnetosphäre vordringen. Diese Radiowellensignale steigen und fallen entlang der Magnetfeldlinien in der Magnetosphäre als diskrete Plasmawellenbündel auf und ab, die als Whistler bezeichnet werden. In der erwähnten NASA-Abhandlung heißt es dazu:
„Eine der ersten beobachteten Auswirkungen des Weltraumwetters auf die Technologie trat während des Ersten Weltkrieges auf, als Funkbeobachter zerstreute Plasmawellen aufzeichneten, sogenannte ‚Whistler‘, die sich durch einen absteigenden Ton im VLF-Radiowellenspektrum auszeichneten und irrtümlich als fallende Bomben identifiziert wurden.“5
Obwohl Radiowellen, die sich in der Atmosphäre ausbreiten, mit zunehmender Entfernung vom Sender schwächer werden und gemäß dem sogenannten Abstandsgesetz von atmosphärischen Molekülen absorbiert werden, trifft dies auf Whistler in magnetosphärischen Wellenleitern nicht zu. Im Gegenteil: Wie es der experimentelle Längstwellensender an der Siple Station in der Antarktis zeigt, werden die VLF-Whistler in vielen Fällen verstärkt, wenn sie mit einer Energie von nur einem Watt durch die Magnetosphäre zur gegenüberliegenden Hemisphäre wandern.
Weltweit gibt es mehr als ein Dutzend dieser leistungsstärkeren Längstwellensender, wobei allein drei von ihnen die Hälfte der gesamten VLF-Wellenleistung abgeben, die die Wechselwirkungen zwischen Wellen und Teilchen in der inneren Magnetosphäre dominiert: NWC in Australien, NAA in den USA und DHO in Deutschland (siehe Abb. 3).
Der leistungsstärkste dieser Hochleistungssender ist die NWC-Sendeanlage am Nordwestkap in der Nähe von Exmouth in Westaustralien mit einer Sendeleistung von 1.000 Kilowatt und einer Frequenz von 19,8 Kilohertz. Sie wurde im Jahr 1972 mit 13 Sendemasten aktiviert. Der größte dieser Masten ist 387 Meter hoch und war viele Jahre lang das höchste von Menschenhand errichtete Bauwerk der südlichen Hemisphäre. Aufgrund der Lage in Äquatornähe und der niedrigen Frequenz verändert diese Sendeanlage stärker als jeder andere VLF-Sender die magnetosphärische Teilchenpopulation.6
Abb. 4: In der Ionosphäre über den Längstwellensendern bilden sich Löcher, durch die Signale in die obere Atmosphäre entweichen können. Das begünstigt Veränderungen in der dortigen chemischen Zusammensetzung.
Etwa 90 Kilometer über dem NWC-Sender bildet sich in der Ionosphäre eine Art Loch mit 25 Kilometern Durchmesser. Durch dieses können höherfrequente Whistler und Signale von Blitzen und künstlichen Quellen der Erde entkommen – der Sender erzeugt einen Ionosphären-Wellenleiter in die obere Atmosphäre, der Veränderungen in der dortigen Chemie bewirkt (siehe Abb. 4).
Dass hochfrequente Whistler auf diese Weise in die Atmosphäre oberhalb der Hochleistungssender entweichen, ist keine Theorie: In einer Untersuchung konnten Forscher nachweisen, dass aus 16 verschiedenen VLF-Sendestationen insgesamt mehr als 258.000 Watt Sendeleistung in die obere Magnetosphäre abstrahlten.7
In den Feldlinien zwischen dem Nord- und Südpol der Magnetosphäre sind Elektronen gebunden. Normalerweise treffen diese Elektronen auf die Ionosphäre, deren Magnetfeld im rechten Winkel zur Magnetosphäre steht, und werden wieder zurückgestoßen. Die funkinduzierten Whistlerplasmawellen lösen die in der Magnetosphäre eingeschlossenen Elektronen, woraufhin diese die Magnetfeldlinie hinabgleiten und auf die obere Atmosphäre einprasseln. Dieser Elektronenniederschlag (auch Präzipitation energetischer Elektronen) wird kurz als EEP-NOx bezeichnet.
Zusätzlich zu den Whistlern erzeugen Rundfunksender spiralförmige Plasmawellen, die das Magnetfeld der Ionosphäre stören, sodass es nicht mehr senkrecht zur Magnetosphäre steht. Diese herabregnenden energiereichen Elektronen können dann durch die Ionosphäre hindurch und in die obere Atmosphäre gleiten. Dort werden sie abgebremst, was zu weicher Röntgenstrahlung führt, die auch als Bremsstrahlung bezeichnet wird und stark genug ist, um mit stratosphärischem Stickstoff zu reagieren und Stickstoffoxide (NOx) zu bilden.
Diese durch den Elektronenniederschlag gebildeten reaktiven Stickstoffoxide sinken in die Polarwirbel und reagieren mit atmosphärischem Ozon (O3) zu Stickoxid und Sauerstoff. Sie sind deshalb so bedeutsam, weil sich das meiste Ozon in der mittleren Stratosphäre befindet – und genau dort wird am meisten Ozon durch Stickstoffoxide abgebaut.
Obwohl Radiowellen also nicht stark genug sind, um direkt NOx zu bilden oder Ozon abzubauen, erzeugen sie spiralförmige Wellen im ionosphärischen Plasma. Diese führen dazu, dass Elektronen aus der Magnetosphäre in Massen auf die obere Atmosphäre niederschlagen, und diese Elektronen sind energiereich genug, um Stickstoffoxide zu bilden und damit den Ozonhaushalt zu beeinflussen.
Dr. Allison Jaynes referierte für die National Academy of Sciences 2018 über Spitzenforschung zum Strahlungsgürtel. Sie betonte, dass „bei ausreichender Energie“ die Niederschläge von Elektronen die Ozonschicht verändern und sich damit langfristig auf Wetter und Klima auswirken könnten.8
Dr. Jaynes sprach in erster Linie vom EEP-NOx, der durch Sonnenaktivität ausgelöst wird. Im selben Jahr (2018) erschien jedoch eine Forschungsarbeit, in der es hieß, es gäbe einen langfristigen Trend bei diesem energetischen Elektronenniederschlag, der nicht mit der solaren oder geomagnetischen Aktivität übereinstimmt (siehe Abb. 6). Darin wurde auch eingeräumt, dass das Ozon tatsächlich von VLF-Sendern am Boden beeinflusst werden könnte. Die Hypothese vom funkinduzierten Klimawandel ist also nach wie vor nicht widerlegt.9
Im Jahr 2005 fand man mithilfe des Minisatelliten DEMETER heraus, dass der 1.000-Kilowatt-Längstwellensender am australischen Nordwestkap (NWC) den Elektronenfluss im Vergleich mit den Hintergrundwerten um das 3.600-Fache steigert.10 Sieben Jahre später stellte die American Geophysical Union fest, dass derselbe Sender eine enorme Signatur in den ionosphärischen Elektronen hinterlässt, die einen riesigen, hufeisenförmigen Bogen zwischen der Nord- und Südhalbkugel bilden.11
Abb. 5: Transmitterinduzierter Elektronenniederschlag, der über diverse Mechanismen und Stickstoffoxide letztlich zum Abbau von Ozon führt.
Dann wiederum wurde 2008 experimentell beobachtet, dass der NWC-Sender einen etwa 430-mal stärkeren Elektronenniederschlag mittleren Energiegehalts (kurz MEE) erzeugt, als es natürlicherweise zu erwarten wäre. Wie aus neuesten Klimamodellen hervorgeht, wirkt sich das signifikant auf die langfristige Ozonvariabilität aus.12 Ein solcher MEE kann zu einem bis zu 20-prozentigen Abbau des polaren mesosphärischen Ozons führen – wir haben es hier mit Molekülen zu tun, die etwa 90 Prozent der Sonnenstrahlung abwenden, die in unser Klimasystem eindringt!13
Laut Michel Parrot, dem leitenden Wissenschaftler der DEMETER-Mission am französischen Nationalen Zentrum für Weltraumforschung CNES, verursachen VLF-Frequenzen zwischen 10 und 20 kHz, die von Sendern am Boden ausgehen und für die Funknavigation und Kommunikation genutzt werden, ionosphärische Erwärmung, Turbulenzen und Partikelfällung. Ähnliches gelte aber auch für die von Rundfunkstationen verwendeten Kurzwellen, denn auch diese erwärmen die Ionosphäre und können ihre Temperatur und Dichte verändern.14
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